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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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stieß mich weg. »Schau, was du mit meiner Tochter gemacht hast.«
    Die Arme über dem Kopf, lag Phoebe auf dem Boden und jammerte wie eine Feldmaus in den Fängen einer schwarzen Schlange. Einige Männer waren herausgetreten, um die Schlägerei zu beobachten, unter ihnen auch der Onkel, den Becher in der Hand.
    Ich griff nach meinem Eimer. »Hoffentlich kriegst du Wundbrand«, meinte ich zu Mercy, die an ihrer Verletzung lutschte, »damit dir jeder Finger an deiner diebischen Hand abfällt.«
    Mit diesen Worten wandte ich mich zum Gehen. Allerdings genügte der Wollschal um meinen Kopf nicht, um Mercys laute und schneidende Stimme auszusperren. »Ihr habt es alle gehört. Sie hat mich verflucht. Sie ist eine Hexe. Aber wie sollte das auch anders sein. Schließlich ist sie die Tochter ihrer Mutter.«
    Bevor ich ins Haus ging, setzte ich mich in den Hof und rieb mir den Kopf. Die Beule pochte schmerzhaft im Gleichtakt mit meinem Herzen, und auch die Schulter tat mir weh. Beim Sturz hatte ich mir die Handflächen aufgeschürft, und ich tupfte vorsichtig den Schmutz aus den Wunden. Vielleicht hatten die Leute ja recht: Ich war wirklich wie meine Mutter, und mein ständiges Bedürfnis, mich von ihr abzusetzen, stellte genau den Beweis dafür dar, dass ich ihre mangelnde Liebenswürdigkeit geerbt hatte. Ich war weder hübsch und flink wie Margaret, noch durchschnittlich und anpassungsfähig wie Phoebe Chandler. Stattdessen hatte ich etwas Funkelndes und Hartes an mir, das an Glimmer erinnerte, und ich dachte daran, wie ich die Finger um den Stein geschlossen hatte, um ihn nötigenfalls nach Samuel Preston zu werfen. In einem Lager bekämpfen und beißen sich die Hunde tagelang, bis ein fremder Artgenosse auftaucht und sich zu sehr dem Feuer nähert. Dann verbünden sich die Streithähne plötzlich und greifen den Eindringling an. Und die Welt strotzte nur so von Eindringlingen.
    Allerdings wollte ich nicht, dass Mutter von dem Zwischenfall erfuhr, denn ich hätte ihren wissenden Blick nicht ertragen können, der »Siehst du, ich hatte mit deinem Onkel doch recht« besagen sollte. Ich schaute in den Eimer und stellte fest, dass ich kaum etwas verschüttet hatte. Mein Kleid war zwar unter den Armen zerrissen, doch ich konnte ein Verhör dadurch vermeiden, dass ich einfach behauptete, ich sei ausgerutscht und hingefallen. Nur mein pochendes Herz musste ich beruhigen, denn Mutter konnte nicht nur jeden Wetterwechsel vorhersagen, sondern erahnte auch meine geheimsten Gedanken. Der beste Weg, nicht aufzufallen, war, mich unter meine Brüder zu mischen. Dabei verfolgte ich dieselbe Taktik wie bei »Mühle«, einem Spiel, das mein Vater sehr gern spielte. Dabei kam es darauf an, drei Steine in einer Reihe aufzustellen und die des Gegners so schnell und selbstbewusst zu überspringen, dass man ihn damit aus dem Konzept brachte. Wer schlau, vorausschauend und flink genug war, durfte die gegnerischen Steine einkassieren und hatte gewonnen.
    An diesem Abend achtete niemand auf mein zerrissenes Kleid, auch wenn Mutter mich fragte, ob ich in eine Schlucht gefallen sei, als ich mir die verletzten Hände wusch. Allerdings war ich rasch vergessen, da wir Robert und seine Nichte begrüßen mussten. Bis in den späten Abend hinein stopften wir uns mit Spanferkel und Pfannkuchen voll. Vater hatte zwei Biber gefangen, deren Schwänze in einer gusseisernen Pfanne in ihrem eigenen Fett brutzelten. Wir aßen geräucherte Wildrippchen und brachen die Knochen mit den Fingern auf, um das saftige Mark herauszusaugen. Und als wir schon beinahe platzten, servierte Mutter uns einen Kuchen mit Zucker und wildem Rhabarber, der gleichzeitig süß und sauer schmeckte. Richard saß verlegen neben Elizabeth auf einer Bank am Feuer und brachte vor satter Trägheit und Schüchternheit kein Wort heraus.
    Als ich einschlief und mir der Kopf auf den Tisch sank, wurde ich, die Hände rot und klebrig vom Rhabarber, ins Bett getragen. In der Nacht wachte ich einmal auf, und mir fiel ein, dass heute ja der 17. November, also mein zehnter Geburtstag, war. Ich tastete unter dem Kopfkissen nach Margarets Stickbild, das ich um die Tonscherbe gewickelt hatte. Später schlich ich mich leise, um meine Brüder nicht zu wecken, in den Speicher hinauf und legte das Stoffstück und die Scherbe ganz unten in Großmutters Truhe. Als der Hahn krähte, brach mit einem Schlag der Winter über uns herein. Ich hörte den Sturmwind heranrauschen wie eine Braut, die zu spät zu ihrer

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