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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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eigenen Hochzeit kommt und aus ihrem wehenden Rock Schnee und Eis auf dem gefrorenen Boden verteilt. Kurz darauf schlief ich wieder ein, und als ich erwachte, lag der Schnee schon so hoch, dass sich unsere Welt auf Haus und Scheune beschränkte.
    Es war einer der kältesten Winter seit vielen Jahren, und er breitete sich von der neuen Welt bis zu den Holländern und den Franzosen aus. Auch die Belgier und die Preußen zitterten in ihren Betten, während die Papisten im Norden hin und her tänzeln mussten, damit ihnen die Füße nicht am Boden festfroren. Die Indianer verkrochen sich in ihren Zelten und stellten die Kriegszüge ein, sodass in der Kolonie Boston den ganzen Dezember über Friede herrschte. So konnten die Grenzstädte die Vorsichtsmaßnahmen lockern und ruhig und feierlich die Geburt des Erlösers begehen.
    Um die beim ständigen Herumsitzen entstandene Langeweile zu vertreiben, stellten einige junge Mädchen im Nachbarstädtchen Salem im warmen und gemütlichen Haus ihres Geistlichen ein verbotenes Venusglas her, sagten einander, unterstützt von einer westindischen Sklavin, die Zukunft voraus oder beantworteteten zu ihrer Unterhaltung einfache Fragen wie »Wer wird sich in mich verlieben?« oder »Wer wird mein Bräutigam?« Dazu gab man Eier in ein Glas und rührte das Wasser um, bis ein Strudel entstand, in dem das Gute und das Böse gleichermaßen ertranken. Seit jener Zeit stelle ich mir die Hölle als eiskalten Ort vor.

5
    Januar 1692 - Mai 1692
    A m 25. Januar stieß ein Bote seinem Pferd die Fersen in die Flanken, bis sie bluteten, und galoppierte auf der Ipswich Road nach Süden, wo Boston lag. Seine Satteltasche enthielt ein in angesengtes Pergament gewickeltes Päckchen. Im sechzig Kilometer entfernten York in Maine hatten einhundertundfünzig Abanaki-Indianer Siedlungen entlang des Agamenticus River angegriffen. Hunderte von Familien, viele Menschen noch im Nachthemd, wurden aus ihren brennenden Häusern getrieben. Reverend George Burroughs aus dem Nachbardorf Wells hatte ein Schreiben verfasst, schilderte den Stadtvätern von Boston die albtraumhaften Vorgänge, das Blutvergießen, die Rauchsäulen und die Feuersbrünste und meldete außerdem, dass etwa fünfzig Einwohner, unter ihnen auch der Geistliche der Stadt, niedergemetzelt worden waren. Mindestens achtzig junge Frauen und Männer waren von den Abanaki nach Kanada verschleppt worden. Einige wurden später wieder ausgelöst, andere blieben für immer verschollen. Reverend Burroughs, früher Geistlicher im Dorf Salem, kannte die Bostoner Stadtväter gut und hielt es deshalb für seine Pflicht, von dem Morden zu berichten, da viele der Toten in dieser Stadt Verwandtschaft hatten. Eben diese Angehörigen waren es, die ihn später festnehmen, vor Gericht stellen und wegen Hexerei aufhängen würden.
    Allerdings sollten wir von diesem Überfall erst im Februar erfahren, denn wir waren den ganzen Januar hindurch von der Außenwelt abgeschnitten. Obwohl uns Berge aus Schnee und Eis den Weg in die Stadt oder zu unseren Nachbarn versperrten, fühlten wir uns im Großen und Ganzen wohlauf, auch wenn Mutter dem Frieden nicht so recht trauen wollte. Bei jeder Tätigkeit, sei es nun, dass sie das Feuer nachschürte oder dass sie am Spinnrad saß, wirkte sie abwesend und nachdenklich, und ich wusste, dass sie sich Sorgen wegen des Frühjahrs machte. Allerdings würden unsere Vorräte an Fleisch und Holz für viele Monate reichen, und auf dem Dachboden hingen, in kleine Musselinbeutel verpackt, harte kleine Samen und schliefen ihren Lazarusschlaf.
    Gegen Ende des Monats zog Hannah einen Suppentopf vom Tisch, sodass sich die kochend heiße Flüssigkeit über ihren Hals und ihre Brust ergoss. Die Haut schrumpelte ein und warf Blasen. Hätte Mutter ihr nicht sofort das Kleidchen vom Leibe gerissen, sie hätte wohl dauerhafte Narben davongetragen. Hannah musste das Bett hüten und weinte und wand sich, wenn Mutter und ich sie mit in Kamillenwasser getränkten Lappen abtupften und ihr Pfefferminzund Lavendeltee einflößten. Sie schrie und schrie, und ich konnte sie mit nichts beruhigen, bis Mutter und ich uns neben sie legten. Gegen Morgengrauen schlief sie, meine Puppe in den von Brandblasen bedeckten Armen, vor Erschöpfung ein. Vermutlich war ich auch eingenickt, erwachte jedoch, als Mutter aufstand, um für das Frühstück das Feuer nachzuschüren. Da meine Brüder und Vater noch schliefen, sah ich ihr leise vom Bett aus zu. Den Arm hatte ich noch

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