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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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neugierig musterten. Wenn die Richter einen der Gefangenen aufriefen, ließen sich die Mädchen nach vorn fallen, stießen schrille Schreie aus oder wälzten sich auf dem Boden wie sich häutende Schlangen. Richard sagte, Mutter habe die Richter unverwandt angesehen und den Mädchen ebenso wenig Beachtung geschenkt wie einem trotzigen Kind.
    Schließlich wurde der Name Martha Carrier aufgerufen. Richard berichtete, eines der Mädchen, sie hieß Abigail Williams, sei sofort aufgestanden und habe mit dem Finger gezeigt - allerdings nicht auf Mutter, sondern auf Tante Mary. Sobald Mutter vortrat, habe sie ihren Irrtum allerdings bemerkt und die Richtung ihres Fingers geändert wie ein Wetterhahn, wenn der Wind dreht. Im nächsten Moment stimmten die anderen Mädchen ein derart gellendes Geheul an, dass die Richter eine Weile brauchten, um sich Gehör zu verschaffen. Einer der Richter wandte sich an die Klageführerinnen. »Abigail Williams, wer fügt dir Schmerzen zu?«, fragte er das Mädchen, das mit dem Finger zeigte.
    »Goodwife Carrier aus Andover«, erwiderte Abigail und fuhr sich mit den Fingernägeln übers Gesicht.
    Dann sprach der Richter das nächste Mädchen an. »Elizabeth Hubbard, wer fügt dir Schmerzen zu?«
    Elizabeth schlang sich die Arme um den Leib. »Goodwife Carrier.«
    Daraufhin befragte der Richter das dritte Mädchen. »Susannah Sheldon, wer fügt dir Schmerzen zu?«
    Susannah drehte sich zu den Zuschauern um, als wolle sie diese um Hilfe im Kampf gegen ihre Feindin bitten. »Goodwife Carrier. Sie beißt mich und zwickt mich und droht mir, mir die Kehle durchzuschneiden, wenn ich mich nicht in ihr Buch eintrage.«
    Ihre Leidensgenossinnen schrien im Chor auf. »Das Teufelsbuch. Sie hat sie gezwungen, sich ins Teufelsbuch einzutragen«, raunten sie. In diesem Moment sprang ein Mädchen namens Mary hoch und rief, Mutter habe auch ihr das Teufelsbuch gezeigt und sie im Schlaf gemartert. Geduldig warteten die Richter, bis wieder Ruhe einkehrte, und blickten dann Mutter an. »Was haben Sie zu diesen Anschuldigungen zu sagen?«, erkundigte sich der oberste Richter.
    »Ich habe nichts dergleichen getan«, hallte Mutters Stimme laut und klar bis in die hinterste Sitzreihe.
    Da erhob sich ein anderes Mädchen und deutete auf eine Stelle an der Wand hinter den Richtern. »Sie sieht den schwarzen Mann an!«, kreischte sie. Im nächsten Moment jammerte ein zweites Mädchen, jemand habe ihr gerade mit einer Nadel ins Bein gestochen. »Was ist das für ein schwarzer Mann?«, fragte der kleinste der drei Richter Mutter und schaute sich dabei ängstlich um.
    »Ich weiß nicht, wovon sie redet«, entgegnete Mutter, wurde jedoch von dem Gezeter der beiden Mädchen beinahe übertönt. »Er ist da, er ist da! Ich sehe genau, wie er ihr ins Ohr flüstert … Autsch, jetzt bin ich schon wieder gestochen worden!«
    Mutter verschränkte die Arme vor der Brust und zeigte den Mädchen, die sich inzwischen in Krämpfen wanden, die kalte Schulter. »Welchen schwarzen Mann haben Sie angesehen?«, beharrte der Richter.
    »Gar keinen, bis auf Sie natürlich«, erwiderte Mutter kühl. In der Stille, die nun im Raum herrschte, war nur ein leises hämisches Kichern aus der letzten Reihe zu hören. Der oberste Richter blinzelte einige Male, als habe er in ein grelles Licht geschaut, und wies dann mit finsterer Miene auf die Mädchen. »Können Sie diese Mädchen anschauen, ohne dass sie zu Boden fallen?«
    »Wenn ich sie anschaue, werden sie sich sicher nach Hause trollen«, antwortete Mutter. Doch der Richter deutete wieder auf die Mädchen. Sobald Mutter sich zu ihnen umdrehte, ließen sie sich unter schrillem Geheul hinfallen, zerrten an ihren Kleidern und jammerten, als würden sie gevierteilt. Inzwischen hatten sich die Richter offenbar von der Hysterie anstecken lassen, denn der dritte Richter, der bislang geschwiegen hatte, stand auf und verkündete: »Jetzt haben wir den Beweis: Wenn Sie sie anschauen, fallen sie um.«
    Mutter trat näher an die Richter heran. »Das ist eine Lüge«, sagte sie so laut, dass man sie trotz des Radaus hören konnte. »Diese Mädchen tun nur so, als wäre der Teufel hier. Seit ich in diesem Raum bin, habe ich niemanden angesehen außer Ihnen.«
    Im nächsten Moment geriet das Mädchen namens Susannah in eine Art Trancezustand. Ihr Körper wurde stocksteif und zitterte wie bei einer Wahnsinnigen, als sie zu den Deckenbalken zeigte. »Ich frage mich, wie Sie die dreizehn Menschen umgebracht

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