Die Tochter der Ketzerin
rühren können. Im nächsten Moment habe Martha Carrier vor ihm in die Hände geklatscht, woraufhin er in den nächsten Tagen eine dreijähige Kuh, dann ein einjähriges Kalb und schließlich noch eine zweite Kuh verloren habe. Er könne sich den Tod der bedauernswerten Kreaturen nicht mit natürlichen Ursachen erklären, sondern habe stets befürchtet, seine Tante könne mit ihrer Böswilligkeit dahinterstecken.
PHOEBE CHANDLER GEGEN MARTHA CARRIER
Phoebe Chander, Alter 12 Jahre, sagt aus, sie sei etwa zwei Wochen, bevor Martha Carrier nach Salem gebracht worden sei, von ihr am Sabbat beim Psalmensingen an der Schulter gepackt worden. Die Zeugin gibt an, Martha Carrier habe sie im Versammlungshaus geschüttelt und sie gefragt, wo sie wohne. Die Zeugin habe aber nicht geantwortet, denn sie sei sicher gewesen, dass die Angeklagte sie kenne. Schließlich sei sie lange Zeit eine Nachbarin ihres Vaters gewesen und habe auf der anderen Straßenseite gewohnt. An dem Tag von Martha Carriers Verhaftung sei die Zeugin von ihrer Mutter geschickt worden, um den Männern auf der Baustelle Bier zu bringen. Am Zaun angekommen, habe sie im Gebüsch eine Stimme gehört, die sie für die von Martha Carrier hielt, aber niemanden gesehen. Die Stimme habe gefragt, was sie dort zu suchen habe und wohin sie wolle, was die Zeugin sehr verängstigt habe.
7
Mai 1692 - Juli 1692
Der Prozess gegen meine Mutter lief folgendermaßen ab.
Richard, der Mutters Verhaftung vom Heuboden der Scheune aus beobachtet hatte, folgte dem Wachtmeister zu Fuß auf der Boston Way Road einige Kilometer weit nach Norden und bog dann an der Kreuzung am Versammlungshaus nach Süden in die Salem Road ein. Obwohl es noch nicht sieben Uhr war, hatte sich bereits eine kleine Menschenmenge versammelt, um Mutter anzustarren, als sie über den Dorfanger fuhren. Niemand sagte ein Wort, und keiner brüllte Drohungen oder Verwünschungen oder flehte um Gnade für meine Mutter. Als sie Miller’s Meadow erreichten, traten Männer und Frauen aus ihren Häusern oder hielten in der Feldarbeit inne, um ihren Nachbarn später erzählen zu können, sie hätten die Hexe von Andover gesehen. Es war ein warmer Tag, und der Wachtmeister, ein dicker Mann, der zum Schwitzen neigte, trank oft aus seinem Wassersack, allerdings ohne seiner Gefangenen einen Schluck anzubieten. Richard hatte vergessen, selbst einen Wassersack mitzunehmen. Als der Wagen die kleine Brücke über den Mosquito Brook überquerte, tauchte er deshalb seinen Hut ins Wasser und lief los, um Mutter etwas zu trinken zu geben. Doch John Ballard drohte Richard schimpfend mit der Faust und sagte, er werde ihn ebenfalls fesseln und in den Wagen werfen, wenn er der Gefangenen noch einmal zu nah käme. Dennoch folgte Richard dem Wagen die ganzen fünfunddreißig Kilometer bis in die beängstigend stillen Straßen von Salem.
Richards Schilderung konnte uns nur einen groben Eindruck der Ereignisse liefern. Allerdings sollten wir den Ort, wo die Urteile gesprochen wurden, bald mit eigenen Augen sehen. Das Versammlungshaus von Salem war ein gedrungenes Gebäude mit erhöhtem Steinfundament und schmalen Türen an drei Seiten. Sie standen alle offen, um das Kommen und Gehen der Angeklagten, ihrer Opfer, der Zeugen und der neugierigen Bürger zu ermöglichen, die aus den Dörfern und Städten von Essex und Middlesex herbeiströmten.
Mutter wurde, die Hände immer noch gefesselt, aus dem Karren gehoben und ins Versammlungshaus geführt. Richard versuchte ebenfalls, ins Gebäude zu gelangen, erhielt jedoch vom Wachtmeister den Befehl, auf dem Hof zu warten und die Richter nicht zu stören. Obwohl Richard ganz hinten in der Menschenmenge stand, konnte er dank seiner Größe von über einem Meter achtzig das Verhör gut verfolgen. Sobald Mutter eingetreten war, bedeuteten die Richter dem Wachtmeister, sie nach vorn zu bringen. Nun stand sie vor den drei Männern, deren Namen allen in Salem und Umgebung ein Begriff waren: Bartholomew Gedney, John Hathorne und Jonathan Corwin. John Ballard unterzeichnete die Auslieferungsbescheinigung, band Mutter die Hände los, salutierte und überließ sie der Zuständigkeit des Gerichts. Links von ihr, getrennt durch einige andere Männer und Frauen in Ketten, standen Tante Mary und Margaret. Als Mutter mit ihnen sprechen wollte, verbot man ihr den Mund. In der ersten Reihe saßen einige junge Frauen und Mädchen, die einander die Arme um die Schultern legten, tuschelten und die Angeklagten
Weitere Kostenlose Bücher