Die Tochter der Ketzerin
in den Waschkessel, dass meine salzigen Tränen den Stoff eigentlich hätten bleichen müssen. Da ich es dennoch nicht mehr sauber bekam, faltete ich es so, dass man den Fleck nicht sah, und steckte Lavendelzweige dazwischen, damit Mutter in ihrer Zelle etwas Angenehmes zu riechen hatte.
Anfangs musste Vater auch noch bares Geld mitbringen, denn der Sheriff von Salem verlangte Bezahlung für Mutters Eisen. George Corwin legte seine Gefangenen nämlich nicht kostenlos in Ketten, und wer zudem noch Verpflegung haben wollte, war seiner Frau dafür einen Obolus schuldig. Wie wir gehört hatten, hatten John Proctor und seine Frau bei ihrer Verhaftung kein Bargeld vorweisen können, woraufhin der Sheriff alles aus ihrem Haus abtransportiert hatte, was nicht niet- und nagelfest war. Er hatte das Bierfass ausgekippt, um es mitzunehmen, und sogar den Kochtopf ausgeleert, dessen Inhalt eigentlich für Proctors durch die Verhaftung ihrer Eltern verwaisten Kinder bestimmt gewesen war. Auf der Farm verliefen unsere Tage im immer selben Trott, während wir uns redliche Mühe gaben, so gut wie möglich unsere Pflichten zu erfüllen. Wir alle schleppten uns dahin wie ein Hund, der ein Vorderbein verloren hat, aber noch herumhinken kann, um zu jagen, zu fressen und sich von einem Ort zum anderen zu bewegen. Dabei waren unsere Gefühle eher mit der Lage eines in der Mitte aufgespießten Seesterns zu vergleichen: Die einzelnen Arme zappeln zwar noch, können sich allerdings nicht auf eine Richtung einigen, als ob beim Durchstechen des Zentrums auch der Zusammenhalt zerstört worden wäre.
Zwar erledigte jeder seine Aufgaben, die sich wegen Mutters Abwesenheit noch verdoppelt hatten, verhielt sich aber, als wäre er in seinen Bemühungen völlig allein. Da sich Vater und Richard über die Zustände im Gefängnis von Salem ausschwiegen, mussten wir uns etwas aus den Schilderungen der wenigen Menschen in Andover zusammenreimen, die noch mit uns sprachen: die Familie von Reverend Dane und die Russells. Bald steckte Vaters und Richards Wortkargheit uns alle an, sodass das fröhliche Geplänkel, die Hänseleien, die Scherze, ja, sogar die Klagen verstummten. Stille senkte sich über unser Haus und die Felder wie ein Nieselregen. Der ohnehin schon zurückhaltende Richard wurde immer mürrischer, verbitterter und eigenbrötlerischer, sodass man sich unweigerlich einen Schubs oder eine Ohrfeige einhandelte, wenn man versuchte, ihn durch Betteln zum Reden zu bringen. Andrew, der Mutters Abwesenheit einfach nicht verstand und sehr darunter litt, wimmerte oft stundenlang vor sich hin und sah in seiner geistigen Verwirrtheit einen Zusammenhang zwischen seinem Jammern und den Kopfnüssen, die Richard ihm dafür verpasste. Vermutlich arbeitete er am schwersten von uns, denn er lief den ganzen Tag zwischen Feld, Scheune und Küche hin und her, um mir zu helfen, die Stange für den Kochkessel zu heben oder Hannah zu beschäftigen. Obwohl Hannah sich nie wieder ganz an meine Mutter gewöhnt hatte, war sie seit der Verhaftung noch trotziger und weinerlicher geworden. Der kleinste Zwischenfall führte zu tränenreichen Wutanfällen, und sie klammerte sich an meine Beine wie Efeu an Mauerwerk. Da ich vor Sorge und Erschöpfung gereizt und ungeduldig war, kniff ich sie mehr als einmal so heftig in den Arm, dass ein blauer Fleck entstand. Wenn mir ihr Greinen zu sehr ans Herz ging, lieh ich ihr meine Puppe, was sie beruhigte und gehorsam machte. Manchmal gab ich ihr auch eine Handvoll kleiner süßer Junierdbeeren und sah zu, wie sie sich die schmutzigen Hände am Rock abwischte. Die Schmierer aus rotem, zähflüssigem Fruchtfleisch auf dem Stoff erinnerten mich an Blut.
Wenn ich nachts lange genug wachlag, um nachzudenken, nahm ich mir oft vor, offen mit meinen Brüdern zu sprechen und sie zu warnen, dass der Sheriff jederzeit kommen könnte, um uns alle zu verhaften und ins Gefängnis zu bringen. Nacht für Nacht schwor ich mir, ihnen am nächsten Tag das Versprechen abzunehmen, den Richtern zu sagen, was sie hören wollten. Aber ich brachte es einfach nicht über mich, das Thema anzuschneiden, und redete mir stattdessen ein, dass Mutter bestimmt freigesprochen werden würde, wenn sie nur standhaft auf ihrer Unschuld beharrte.
Eines Tages, wenige Wochen nach Mutters Verhaftung, sagte ich das auch zu Richard. Wir waren gerade damit beschäftigt, einen in den Brunnen gefallenen Eimer wieder herauszuangeln, denn das Seil war alt gewesen und schließlich
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