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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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rief sie mich zu sich und tippte mit dem Finger erst sich selbst und dann mir an die Brust, um das unsichtbare Band des Verständnisses und des Zusammenhalts zwischen uns anzudeuten - das Band eines wohlgehüteten Geheimnisses. Als Mutter hinausging, begann Hannah zu strampeln und zu schreien. Ich hielt sie und wiegte sie, so gut ich konnte, während draußen auf der Straße nach Salem das Geräusch der Wagenräder immer leiser wurde.

6
    V iele Jahre später, ich war längst verheiratet und hatte erwachsene Kinder, ließ mein lieber Mann John für eine hohe Summe einen Sekretär aus Connecticut nach Salem schicken, um die Gerichtsakten aus dem Prozess gegen meine Mutter abzuschreiben. Viele Unterlagen waren im Laufe der Zeit vernichtet worden, einige sogar von den Richtern selbst oder von deren Familien, die wegen des veränderten gesellschaftlichen Klimas Folgen für sich fürchteten. Was noch übrig war, hatte man jahrzehntelang unter Verschluss gehalten, und so lagen die Dokumente halb vergessen ganz hinten in einem hölzernen Aktenschrank, der auch die Geburts- und Sterberegister von Salem beherbergte.
    Eigentlich hatte ich weder das Bedürfnis, die Vergangenheit auf diese Weise wieder auferstehen zu lassen, noch überhaupt einen Gedanken daran verschwendet. Doch eines Nachts, das Wetter war herbstlich abgekühlt, und überall roch es nach Fäulnis, hatte ich einen Traum. Wie es in Träumen häufig der Fall ist, wusste ich, dass ich, umgeben von meinen schlafenden Söhnen, Töchtern und Enkeln, neben meinem Mann im Bett lag. Und dennoch flog meine Seele zum Rand des Maisfelds neben dem Haus meiner Großmutter. Es war Nacht, und lange Schatten lagen über dem Feld. Ich stand da und lauschte dem Rascheln und Rauschen der Maispflanzen. Der Vogelscheuchenmann drehte sich auf seiner Stange im Wind, als sehe er mich an, nicht etwa in böswilliger Absicht, sondern ruhig und abwartend. Der Vollmond hatte einen silbrigen Hof, der einen regnerischen Sonnenaufgang verhieß. Im Moment jedoch war der Himmel blauschwarz und wolkenlos. Die Luft an meiner Haut fühlte sich so feucht und warm an wie der Atem eines Kindes. Die Vogelscheuche bewegte sich hin und her und zeigte einmal nach Norden und Süden, dann wieder nach Osten und Westen. Im nächsten Moment regte sich etwas am Rand des Feldes, und ein kleiner Fuß erschien aus dem Mais. Er steckte in einem abgetragenen, viel zu großen Schuh, dessen silberne Schnalle im Mondlicht funkelte. Dann kam eine Hand in einem schwarzen Handschuh in Sicht, anschließend ein Arm, danach ein kleiner, verwachsener Körper und zu guter Letzt ein dunkler Kopf, dessen untertassengroße Augen sich glänzend vom Grün abhoben. Da bemerkte ich, dass die Gestalt gar keine Handschuhe trug. Es war die schwarze Hand von Lieutenant Osgoods Sklavenjungen.
    Er sah mich todtraurig an, und wir betrachteten einander eine Weile. Die andere Hand hatte er im Mais versteckt. Als er sie vorstreckte, erkannte ich eine winzige Sichel von der Art, wie man sie zum Roden von Gestrüpp verwendet. Zum Abmähen eines Feldes war sie viel zu klein. Die Klinge der Sichel war mit einer kupferroten Masse bedeckt. Der Junge schüttelte den Kopf, als bedauere er, was er jetzt tun müsse. Dann bog er einige Maisstängel zurück, um einen Weg für mich freizumachen, und wies mit der Sichel in die Öffnung.
    Vor Angst gelang es mir nicht, die Füße zu heben. Im Maisfeld huschten dunkle Gestalten umher. Es waren Männer und Frauen, die mir auf verlockende Weise vertraut erschienen, auch wenn ich sie wegen der Finsternis nicht richtig sehen konnte. Da öffnete der schwarze kleine Junge den Mund und sprach mich mit heller Kinderstimme an. »Sarah, komm ins Maisfeld.«
    »Aber warum verlangst du das von mir?«, gab ich zurück, und meine Stimme hallte schrill und vorwurfsvoll durch die stille Nacht.
    Obwohl ich am liebsten wie angewurzelt stehen geblieben wäre, bewegte ich mich vorwärts, wie auf einem Schlitten gezogen, bis ich schließlich neben dem Jungen stand. Er flüsterte mir etwas ins Ohr, diesmal mit Margarets Stimme. »Kannst du ein Geheimnis bewahren, Sarah?«, fragte sie. Ich nickte, denn ich erinnerte mich an all die Geheimnisse, die wir einander im Haus ihrer Mutter anvertraut hatten. »Du kannst den Mais nur dann ernten, wenn du auch ins Maisfeld hineingehst«, sagte sie, und ich spürte ihren Atem heiß im Ohr.
    Ich erwachte mit tränennassem Gesicht. Meine Hand presste sich auf mein Herz. Über vierzig Jahre lang

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