Die Tochter der Konkubine
unterhalten hast, würde ich dir gern einen Gast vorstellen. Er erwartet uns im Arbeitszimmer.«
Der Schlüssel drehte sich leicht im Schloss, und die Tür öffnete sich auf ihre Berührung hin widerstandslos. Ein einziger Lichtstrahl durchbohrte die kristallene Kuppel und warf eine Lache aus Licht auf eine Statue Kuan-Yins, der Göttin der Barmherzigkeit.
Der von Ben erwähnte Gast entpuppte sich als der ruhige, stattliche Sir George Chinnery, der ein berühmter Porträtmaler war. In der Kolonie gab es nur wenige Würdenträger, vom Gouverneur und seiner Frau bis hin zu jenen, die reich genug waren, um sich die unerhörten Honorare leisten zu können, die noch nicht für Sir George gesessen hatten. Einen Monat lang saßen Ben und Li fast täglich über mehrere Stunden auf der Ozeanterrasse Modell, sie in ihrem Lieblings-Cheongsam und Ben in der Uniform eines Handelsschiffskapitäns. Als das lebensgroße Porträt fertiggestellt war, wurde es prächtig gerahmt und in Bens Arbeitszimmer hinter dem Schreibtisch aufgehängt.
Viele Wochen lang wurden Li und Ben nur von Fisch und Ah-Kin und seiner Familie betreut. Der Gärtnerssohn arbeitete hart und zuverlässig, und seine Frau war eine schlichte, aber exzellente Köchin. Für die Familie Kin war auf einem eigenen kleinen Grundstück ein festes Haus errichtet worden, das in einem Hinterflügel auch noch Unterkunft für weitere Bedienstete bot. Fisch hatte ein separates Zimmer, das in der Nähe der Eigentümersuiten im Ostflügel lag und an Lis Privaträume und die Gästezimmer grenzte, die schon bald, so hoffte man, von Winifred Bramble bewohnt würden.
Fisch flehte Li an, Ah-Ho nicht ins neue Haus zu übernehmen. Sie hatte erfahren, dass Ah-Ho, die nur zu erpicht darauf war, den Namen des Mädchens aus Zehn Weiden zu verunglimpfen und die Geschichte der Fuchsfee neu zu beleben, das Netzwerk der sau-hai- Schwesternschaft genutzt hatte, um Lis Vergangenheit auszuforschen.
»Sie sagen, nur Verrücktheit hätte Di-Fo-Lo veranlassen können, dich aus dem Flussbett zu ziehen«, flüsterte Fisch. »Narren unter ihnen behaupten, dass das, was er aus dem Schlamm holte, ein in Schönheit gehülltes Ungeheuer gewesen ist, ein Geist, dem er seine Seele verkauft hat.« Besorgt verschlang sie ihre Hände. »Ah-Geet, der Chauffeur, hat behauptet, du seist mit ihm zu seinem Arbeitsplatz gegangen und habest seine Essenz genommen, um die eigene zu nähren. Dass er sich nicht gegen deinen Teufelszauber habe wehren können.«
Fisch bat sie inständig, den Herrn zu informieren, bevor es zu spät war. »Du bist Herrin dieses großen Hauses. Das erfordert absoluten Respekt. Zeig in dieser Angelegenheit keine Angst oder Unsicherheit, sonst bist du verloren!«
Die alte Frau hob warnend den Finger. »Hier wirst du beschützt. Dafür hat der Herr gesorgt. Aber so lange sie unter deinem Dach lebt, wirst du nie sicher sein. Du musst ihm sagen, dass Ah-Ho und ihren Leuten ein großes lai-see bezahlt werden muss, ehe man sie einem anderen Haushalt übergibt. Er hat viele Freunde, die die Ober-Amah von Sky House gern willkommen heißen.«
Li griff beruhigend nach ihrer Hand. »Wenn Ah-Ho fortgeschickt wird, wird sie wissen, dass ich dahinterstecke, und mich nur noch mehr hassen. Vor den sau-hai gibt es kein Entkommen.« Um Fischs wachsender Angst nicht noch Nahrung zu geben, beschloss Li, ihr nichts von der Warnung des gelben Talismans zu erzählen.
»Wie du schon sagtest, innerhalb dieser Mauern kann sie wenig ausrichten. Besser, man tritt einer Viper im Freien entgegen als im Busch. Ich werde zusehen, dass ihr Gesicht gewahrt und ihr Gehalt erhöht wird und ihre Stellung unangefochten bleibt. Mit der Zeit werde ich ihr Vertrauen und vielleicht auch ihren Respekt gewinnen. Das ist die beste Methode, da bin ich mir sicher.«
Als sie erkannte, dass Fisch weiterhin nicht überzeugt war, fühlte Li sich weniger zuversichtlich, als sie klang. Die Alte schien sie nicht einmal zu hören. »Der Unsterbliche«, krächzte sie heiser, »der hat in den Stöcken auch Gefahr gesehen. Er sprach von Verrat, einem Meuchelmörder, der deine Tür beschattet. Du musst Master Ben die Wahrheit über Ah-Geet erzählen, oder der Chauffeur wird dich zerstören.«
Entschlossen, sich nicht von Fischs Sorgen oder den Grübeleien eines uralten Wahrsagers beherrschen zu lassen, machte Li sich an die Aufgabe, Herrin der Villa Formosa zu werden. Ah-Ho und die Bediensteten von Sky House wurden aus Macao hergeholt und
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