Die Tochter der Konkubine
ihm überlassen. Er engagierte Dr. Hamish McCallum, einen als »Mac« bekannten mürrischen Schotten, der schon unzählige Jahre ein enger Freund war und mit ihm den Yachtclub leitete.
Nachdem er sah, wie viel Zeit Li draußen verbrachte, beschloss
Ben, einen ting zu bauen - einen Gartenpavillon beziehungsweise ein Teehaus, wo sie allein sein konnte und selbst er als Gast eingeladen werden musste. Es sollte am höchsten Punkt des Anwesens stehen, unter einem alten Bodhi-Baum, wie ihn sich Buddha persönlich ausgesucht hatte. Li suchte den Namen aus: Pavillon freudiger Momente.
Einen Monat darauf war der ting fertiggestellt. Große Rotholzpfeiler wurden genau an den vier Himmelsrichtungspunkten aufgestellt, wobei jeder eine Jahreszeit symbolisierte. Zwischen diesen vier Wächtern befanden sich Zwischenwände aus Sandelholz, in die Pfirsich - und Pflaumenmuster geschnitzt waren, die zwei Seiten aus Privatheitsgründen abschlossen und freie Sicht auf die Bucht und das Meer dahinter ließen. Der Boden bestand aus weißem Marmor. In seiner Mitte waren die offenen Blütenblätter einer Lotusblume in blassrosa Jadeit eingelegt, die Staubblätter waren Einlegearbeiten aus Bernstein, Koralle und blauem Lasurit. Am Eingang rankten Glyzinien empor, Zwerggardenien säumten einen mit kunstvollen Kieselsteinmustern gepflasterten Weg.
Im Inneren umgaben Diwane mit bestickten Kissen verteilt den Marmortisch und vier Porzellanhocker, die man aus dem Macaoer Garten mitgenommen hatte. Li betrat ihn mitten in der Nacht zum ersten Mal. Unfähig zu schlafen und darauf bedacht, Ben nicht zu stören, fühlte sie sich um drei Uhr morgens zum Pavillon hingezogen. Ein honiggelber Vollmond auf seinem Zenit tauchte das Meer in seine Helligkeit, die Sterne wetteiferten mit ihm um Raum und Glanz. Bis zum Sonnenaufgang saß sie da und rief nach Pai-Ling, erhielt jedoch keine Antwort. Hier, an dem einzigen Ort auf der Welt, wo sie sich hätte sicher fühlen sollen … tat sie es nicht.
Als Dr. McCallum ihr riet, nicht länger ins Büro zu gehen, fand Li Frieden in der Gesellschaft Ah-Kins, in der stillen Betrachtung erholsamer Gartenkünste oder in der Lektüre eines Buches aus ihrem eigenen kleinen Arbeitszimmer. Im Pavillon freudiger Momente las sie von kühnen Taten, von tapferen Männern und gar
noch tapfereren Frauen. Doch jeder neue Tag begann und endete damit, dass sie in Pai-Lings Tempel Früchte und frische Blumen darbrachte und privat mit ihrer Familie sprach und um Rat betete.
Besorgt, sie könne sich einsam fühlen, schenkte Ben ihr zwei kleine Chow-Chow-Welpen, mehlweiße Pelzbälle mit glänzenden schwarzen Knopfaugen und mit Zungen von der Farbe zerdrückter Heidelbeeren. Li taufte sie Yin und Yang, und sie wurden rasch ein vielgeliebter Bestandteil ihres Lebens, rasten zwischen den Bäumen Tauben hinterher, trotteten an roten Lederleinen die Wege entlang, schliefen tief und fest auf den Kissen im Pavillon oder auf ihrem Bett.
Für Fisch waren die Hunde ein Mysterium. Ihrer bäuerlichen Herkunft gemäß wurden solche Kreaturen am besten mit Bambussprossen und Hoisin-Soße mit vielleicht noch einer Chili darin serviert. Doch zu sehen, wie glücklich Li mit ihnen war, reichte ihr, sie zu tolerieren.
Das Band zwischen Li und Fisch wurde noch enger, als die alte Amah sich der Frau des Herrn und der Geburt ihres Sohnes widmete. Als erfahrene Hebamme traf sie jede Vorsichtsmaßnahme, die der chinesische Kalender vorschrieb, und fügte noch ein paar eigene hinzu, um sicherzustellen, dass Li einen Jungen bekommen würde. Li gab es ungern zu, aber obwohl das Leben für einen Sohn und Erben zweifellos einfacher sein würde, sehnte sie sich insgeheim nach einer Tochter. Wie wunderschön die Kindheit ihrer Tochter doch sein würde, wie anders als ihre, wie gesegnet durch die Unterstützung ihrer Mutter. Doch Fisch lebte bei der Aussicht auf Bens Sohn derart auf, und ihre Bemühungen um eine sichere Ankunft des Kindes waren so unermüdlich, dass Li sich selbst den seltsamsten Verordnungen bereitwillig fügte.
Ihrem Kind gegenüber empfand Li den traditionellen chinesischen Respekt und glaubte, dass seine »vorhimmlische« oder pränatale Existenz genauso wichtig war wie seine »nachhimmlische« beziehungsweise postnatale Zukunft. Und so ließ sie sich auf die Volksweisheiten der alten Dame ein: Sojasoße, dunkle Suppen oder
Bratensoße waren tabu, damit der Junge keinen dunklen Teint bekam und als Bauer angesehen würde, der dazu
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