Die Tochter der Konkubine
suchte die Stimme Meister Tos und Fischs zwinkerndes Auge. Sie waren umgehend bei ihr, erinnerten sie daran, dass sie ihr beigebracht hatten, sich auf ihrem Weg von Hindernissen oder Verrat nicht beirren zu lassen.
Im Kerzenlicht dachte sie über ihre Lage nach. Beschränkt auf die Küche und deren kleinen Hof und unter der Bewachung der Jade-Amahs, würde eine Flucht nicht einfach sein. Die Mauern des Doppelten Glücks waren uneinnehmbar, die Tore verriegelt
und bewacht. Der Pförtner Ah-Kwok und seine Affenschädelrute würden jeden Versuch willkommen heißen, ihnen zu entkommen. Hier waren Beobachtung, Geduld und Strategie angesagt.
Eine von Siu-Sings Pflichten als mooi-jai war die, als Fan-Lu-Weis offizielle Vorkosterin zu fungieren. In dem kleinen Privatraum, wo der einstige Mandarin sein Essen einnahm, sah er ungeduldig zu, wie ihr auf einem Seitentisch eine Reihe von Gerichten hingestellt wurden. Daneben, auf einem Elfenbeintablett, lagen silberne Essstäbchen. Unter den achtsamen Augen der Jade-Amahs wurde Siu-Sing aufgetragen, mit den Essstäbchen von jedem Gericht einen einzigen Mundvoll zu kosten. Die Essstäbchen lagen dünn und schwer in ihren Fingern, das Essen schmeckte anders als alles, was sie kannte, war aber voller köstlicher und angenehmer Aromen. Hatte sie alles durchprobiert, wurde sie ohne ein weiteres Wort in die Küche zurückgeschickt.
»Er ist ein vorsichtiger Mann«, sagte Ah-Soo, als Siu-Sing einigermaßen verwirrt zurückkam. »Alle Mandarine haben es so gehalten, dass sie sich von jemandem, dessen Leben ohne Wert ist, das Essen vorkosten ließen. Essstäbchen aus Silber werden schwarz, wenn sie auch nur mit der kleinsten Unreinheit in Kontakt kommen.« Die Köchin lachte geheimnisvoll. »Keine Bange, ich werde ihn nicht vergiften, und die Amahs genauso wenig, solange er sie gut bezahlt. Getrennt von Madam Fan und dem Rest der Familie isst er, weil er glaubt, manche von ihnen würden ihn für sein Vermögen umbringen.«
Siu-Sing holte Wasser von der Pumpe, bereitete Gemüse, reinigte Kochtöpfe, schrubbte Tische und wischte Böden. Sie arbeitete hart und ohne sich zu beklagen, lernte viel von Ah-Soo, die bald merkte, dass man ihr vertrauen konnte und froh über ihre Gesellschaft war. Über den fetten Fan sprach die Köchin in vorsichtigem Ton, als würde sie jederzeit das Knarren seines bereiften Throns erwarten oder die leisen Schritte der Jade-Amahs.
»Der einstige Mandarin, von nobler Geburt und großer Macht, wird jetzt behandelt wie jeder andere auch. Nun ist er Händler für
Innereien und totes Fleisch, so aufgedunsen wie die Schweine, die er mästet. Wie stolz er darauf ist, der größte aller Würstchenhersteller zu sein! Sein geheimes Familienrezept hat den großen Fan-Lu-Wei zu einem der reichsten Kaufleute Macaos gemacht. Diese heiligen Haare, die ihm am Kinn sprießen«, flüsterte sie, »sind himmlisches Glück - die ihm, so glaubt er, von Lu-Hsing gegeben wurden, dem Sternengott des Überflusses. Er badet sie dreimal täglich in Rosenöl. Und zu festlichen Anlässen, am Geburtstag des Sternengotts, werden sie mit flüssigem Gold überzogen.« Ah-Soo stellte einen Wok auf ihren bullernden Herd. »Der fette Fan lebt nur, um zu essen, Brandy zu trinken, Unzucht zu treiben und die Schweineknochen-Pfeife zu rauchen.«
In einem ruhigen Augenblick saßen sie auf der Stufe vor der Küchentür und tranken Tee. Ah-Soos Stimme wurde höchst vertraulich. »Weder glaube ich deine Geschichte von dem reichen Taipan, nach dem du suchst, noch glaube ich sie nicht. Unsere Vergangenheit und unsere Zukunft sollten unsere eigene Angelegenheit sein und andere nichts angehen. Aber selbst unsereins sollte ein Anrecht auf Träume haben.«
Ah-Soo hielt einen Moment lang inne und warf den Hühnern, die im Kohlbeet nach Würmern pickten, eine Handvoll Körner hin. »Hat der, der behauptet hat, dein Bruder zu sein, die Wahrheit gesagt … dass du unberührt bist?«
Siu-Sing konnte nur nicken. »Ich komme vom Tung-Ting-See in Hunan. Ich habe mein Leben im Schutz zweier Menschen verbracht, die mich liebten. Ich weiß nichts von Männern, und vor meinem Aufbruch kannte ich nur meinen Meister und den, der mich verraten hat. Aber es stimmt: Mein Vater ist ein ausländischer Taipan, und ich bin hergekommen, um ihn auf dem Goldenen Hügel zu finden.«
»Dann sieh dich vor. Der fette Fan wird nach dir schicken. So macht er das mit allen mooi-jai . Weil er dein sung-tip besitzt, besitzt er auch deinen
Weitere Kostenlose Bücher