Die Tochter der Konkubine
und das vielleicht inzwischen etwas kantigere Kinn nicht sonderlich verändert. Sein Mund war derselbe geblieben - dünn, gerade, grausam.
Siu-Sing verbarg ihren anfänglichen Schock so rasch, dass nicht einmal Rubin etwas mitbekam. Ihr blieb nichts anderes übrig, als den Dingen ihren Lauf zu lassen. Mama-san hatte auf derart schwerer Theaterschminke beharrt, dass die Chance bestand, dass Ah-Keung sie nicht erkennen würde und, falls doch, er es vielleicht
lieber nicht zeigte. Siu-Sing kämpfte ihre Panik nieder und konzentrierte sich, während sie auf ihren Auftritt wartete, auf den Mann mit dem goldenen Haar.
Wie Rubin es vorausgesagt hatte, servierte der Küchenchef ein Gericht nach dem anderen. Wie das Protokoll es verlangte, entschuldigte Ching sich für die minderwertige Qualität seiner bescheidenen Gaben: das Herz eines Tigers, einen wilden Schwan, die Pfote eines Schwarzbären aus dem Himalaya, die man dem lebenden Tier abgehauen hatte, neben zahllosen anderen Delikatessen, die man schon seit tausend Jahren in den Bankettsälen der Herrscher genoss.
»Sie werden bemerken, dass unsere Essstäbchen aus purem Silber sind. Bei jeder Verunreinigung läuft die Spitze sofort schwarz an … Eine reine Vorsichtsmaßnahme.« Er spreizte seine Finger, und sein Diamantring glitzerte im Licht. »Ist der Preis, den die Mächtigen zahlen, nicht, in der ständigen Gefahr vor einem Meuchelmörder zu leben?«
Ching lachte laut über seinen eigenen Scherz. »Benutzen Sie sie mir zuliebe, meine Herren - oder, wenn Sie zivilisiertere Utensilien bevorzugen, bedienen Sie sich des Bestecks vor Ihnen, ebenfalls aus solidem Silber und, wie ich mit Stolz verkünden kann, hergestellt in Ihren berühmten Sheffielder Gießereien.«
Mit unübersehbarem Unbehagen kosteten die Gäste kleine Portionen jeden Gerichts. Ching ließ keine Gelegenheit aus, mit Blick auf das bevorstehende Geschäftsgepräch das Trennende zwischen ihren verschiedenen Kulturen hervorzustreichen. Das Abschlussgericht bestand aus einer kräftigen Suppe, die der Küchenchef persönlich aus einer riesigen Terrine, die in der Mitte des Tisches stand, schöpfte. Der Taipan schlürfte geräuschvoll und ermunterte seine Gäste, es ihm gleichzutun. »Die wird aus dem Hoden der Zibetkatze gemacht.« Er grinste, entzückt darüber, die Barbaren belehren zu können. »Die haben vier, wissen Sie, diese Glückspilze. Diese Suppe wird Ihnen zu ähnlicher Leistungsfähigkeit verhelfen.« Mit einem anzüglichen Grinsen deutete er eine sofortige
Erektion an, indem er seine Hand zur Faust ballte und seinen Unterarm abrupt hochriss.
Es schien Stunden zu dauern, bis Tamiko-san in die Hände klatschte und Rubin zum Tanzen aufforderte. Was diese auf exquisite Art zur Musik zweier indischer Musiker tat, ehe sie zum höflichen Applaus der Gäste in den Anbau zurückkehrte.
Der Augenblick für Siu-Sings Auftritt war gekommen. Sie teilte die Vorhangschnüre und nahm auf dem Stuhl Platz, den man für sie bereitgestellt hatte, froh, dass sie ihr Gesicht gesenkt halten musste, da ihre Wange sich an den Hals der er-hu schmiegte. Sie war auch dankbar, als das Licht gedämpft wurde, damit der Zauber ihrer Musik besser zur Geltung kam.
Da sie nicht wusste, was der Abend bereithielt, verlor Siu-Sing sich in den Melodien ihrer Kindheit, spielte ohne Gedanken an Zeit und Ort. Der mit dem Haar von der Farbe reifen Korns und indigoblauen Augen blickte sie unverwandt an und vernahm jeden Ton wie ein Geschenk, als würde sie die Musik nur für ihn spielen.
Ching war es, der den Zauber zerriss. Er hatte kräftig getrunken, zuerst den heißen Wein, der ihm zufolge potenzfördernd war, dann den Brandy, der für die Röte in seinem Gesicht verantwortlich war. Er beendete ihr Spiel mit unverhohlener Ungeduld. »Ein Augen-und Ohrenschmaus, nicht wahr? Oder können westliche Ohren dem Kratzen auf einer chinesischen Fiedel nichts abgewinnen?«
Er wartete die Antwort gar nicht ab, sondern rief noch lauter, als Siu-Sing ihr Instrument senkte und sich von ihrem Schemel erhob: »Geselle dich zu uns, Topas - und bring die Chi-Chi mit. Ich habe eigene Unterhaltung, um unseren ehrenwerten Gästen die Zeit zu vertreiben.«
Gehorsam setzten sich Siu-Sing und Rubin auf die für sie reservierten Plätze. Wenngleich Siu-Sing nun allen Blicken preisgegeben war, gab der schweigsame Ah-Keung kein Zeichen des Erkennens. Und in der Gegenwart des Mannes mit dem sonnenbeleuchteten Haar schien sogar der Schock über sein
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