Die Tochter der Konkubine
plötzliches Erscheinen nachzulassen.
»Bei allem Respekt, Mr. Ching, wir sind üppig bewirtet und bezaubernd unterhalten worden … könnten wir aber nun auf den eigentlichen Grund unseres Hierseins zu sprechen kommen?« Colonel Pelham warf einen Blick auf die Uhr.
»Gleich, nur noch einen Augenblick … hier noch ein kleines Beispiel unserer unbedeutenden und erbärmlichen Fähigkeiten.«
Er schnippte mit den Fingern, und Ah-Keung trat vor, baute sich breitbeinig auf und stemmte die geballten Fäuste in die Hüften. Er stand gegenüber den sechs halb heruntergebrannten Kerzen in ihrem silbernen Ständer auf der Tischmitte. Ohne Vorwarnung ließ er seine Faust nach unten schnellen und hielt Zentimeter vor der ersten Kerze inne. Die Kerze verlöschte. Dieses Kunststück wiederholte er so schnell, dass die anderen sechs Kerzen schneller verglimmend dastanden, als es das Auge erfassen konnte.
»Die Kraft des Chi, meine Herren. Innere Energie, die über alle akzeptierten Grenzen der physischen Möglichkeiten hinaus entwickelt wurde.« Der Taipan gluckste. »Jeder Schlag wurde eine Handbreit vor der Kerze ausgeführt, doch seine Schnelligkeit hat die Flamme gelöscht. Angenommen, ein solcher Schlag träfe, dann wäre die Wucht unvorstellbar und würde in einer Geschwindigkeit ausgeführt werden, die für das Auge nicht sichtbar ist.«
Die kurze Stille, die inmitten der von den geschwärzten Dochten aufsteigenden Rauchfäden und dem stechenden Geruch heißen Wachses folgte, genoss Ching offensichtlich. »Ah-Keung ist ein Mann, der wenig spricht, aber viel sieht. Er ist mein Chauffeur und mein…«, er hielt eine Sekunde inne, »persönlicher Assistent. Er kümmert sich ganz ausgezeichnet um meinen Wagen wie auch um meine Person.«
Ah-Keung war sofort wieder an seinen Platz hinter dem Stuhl des Taipans getreten, die Hände gefaltet, das Gesicht eine undurchdringliche Maske, die Augen ausdruckslos. Siu-Sing saß mit gesenktem Blick da und war sich nur des jungen britischen Offiziers bewusst. Es war, als wäre der Raum leer bis auf ihn.
»Sie haben natürlich recht, Colonel - genug der Unterhaltung.
Die Japaner in der Mandschurei und nun in Shanghai, da hält sie nicht mehr viel davon ab, südwärts zu drängen.« J. T. Ching hielt seinen Brandyschwenker hoch, um sich nachschenken zu lassen. »Wir müssen vorbereitet sein.« Während er sprach, wurde ein großes, bedecktes Tablett auf die Mitte des abgeräumten Tisches gestellt. Der Küchenchef hob schwungvoll den Silberdeckel und machte den Blick auf einen Stapel goldenes Konfekt frei, das ordentlich in quadratische Stücke geschnitten war.
»Ohne das seltenste aller Desserts ist ein Bankett unvollständig.« Ching suchte sich mit seinem silbernen Essstäbchen ein Stück aus, kaute es mit geräuschvollem Behagen und drängte die anderen dazu, es ihm nachzutun. »Solch wichtige Veranstaltungen müssen mit dem gemeinsamen Genuss von mu-nai-yi entweder anfangen oder aufhören. Ihnen wird aufgefallen sein, meine Herren, dass wir armen Chinesen wenig Sinn für Nachspeisen haben … für ›Jam-Roly-Poly‹, ›Bread-and-Butter-Pudding‹ oder ›Spotted Dick‹, Leckerbissen, die Sie bestimmt in der Behaglichkeit des Offizierskasinos genießen.«
Seine Gäste nahmen sich jeder ein Stück von dem, was ein Sahne - oder vielleicht ein Karamellbonbon zu sein schien. Er beobachtete gespannt, wie sie die Häppchen verspeisten und bezüglich des Geschmacks und der Beschaffenheit anerkennend nickten. Durch ihren Beifall sichtlich entzückt, wandte Ching sich an Siu-Sing und Rubin.
»Bedient euch, meine Damen. Es ist unwahrscheinlich, dass ihr je wieder in den Genuss von so etwas Erlesenem kommt!«
»Schmeckt schon recht fein«, bemerkte Colonel Pelham höflich, »aber vielleicht ein wenig zu reichhaltig für jemanden, der eher an ›Jam-Roly-Poly‹ gewöhnt ist.« Seine steifen Worte machten klar, dass er Chings Äußerung als beleidigend empfand.
Captain Hyde-Wilkins, der die ganze Zeit über auffallend still gewesen war, nickte zustimmend. »Darf man fragen, woraus es besteht? Es schmeckt anders als alles, was ich je gegessen habe … und gehört ganz sicher nicht in die Kategorie von ›Spotted Dick‹.«
Ching, dessen Gesicht von zu viel Brandy fleckig war, strahlte zufrieden. Er bot Siu-Sing feierlich ein Stück an, und sie hatte keine andere Wahl, als anzunehmen. Sie fand es angenehm süß … wie Karamell, mit einem seltsamen Nachgeschmack, den sie nicht einordnen
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