Die Tochter der Konkubine
konnte. Sobald man es kaute, zerfiel es auf der Zunge und ließ sich leicht schlucken.
» Mu-nai-yi ist auch als ›In Honig eingelegter Mensch‹ bekannt. Wenn in gewissen fernen Dörfern, wo die Armut den Ton angibt, ein Mann eines natürlichen Todes gestorben ist und vorzugsweise von hohem Alter und reich an Weisheiten war, dann verkauft die Familie seinen Leichnam unter Umständen an den örtlichen Arzt. Wenn es ihm beliebt, kann der Mann seinen Leichnam aber schon in jedem Alter im Voraus oder auf seinem Totenbett verkaufen, damit er seinen Ahnen in dem Wissen begegnen kann, dass er seinen Hinterbliebenen genützt hat.« Voller Genugtuung, nun die volle Aufmerksamkeit seiner Gäste zu besitzen, langte Jack Teagarden Ching nach einem weiteren Stück, hielt es wie einen seltenen Edelstein zwischen seinen Essstäbchen zum Licht und besah es sich genau.
»Es ist ein faszinierender Prozess«, fuhr er fort, als sei er sich des Unbehagens seiner Gäste gar nicht bewusst. »Der Leichnam wird gesäubert und dann in einen mit Wildhonig gefüllten Steinsarg getaucht. Name und Datum werden auf dem versiegelten Sarg vermerkt, der dann in einer Höhle gelagert wird, die auf geheimnisvolle Weise für diesen Zweck ausgewählt wurde, und verweilt dort nicht weniger als hundert Jahre.« Chings gerötetes Gesicht war anzusehen, wie sehr er den Augenblick genoss. »Dann wird der Sarg geöffnet, und das Ergebnis ist mu-nai-yi !«
Er steckte sich das Stück mit übertriebenem Genuss in den Mund. »Es wird Sie freuen zu hören, meine Damen und Herren, dass der Leichnam, den Sie gerade genießen, zu Lebzeiten ein Weiser von hohem Ansehen war.«
Noch ehe er fertiggesprochen hatte, musste Siu-Sing würgen. Der Taipan wirkte eher amüsiert als besorgt. Captain Hyde-Wilkins
war sofort mit einer sauberen Seviette aufgesprungen und hielt sie Siu-Sing an den Mund. Ah-Keung hatte Anstalten gemacht, ihn daran zu hindern, doch eine schnelle Kopfbewegung Chings ließ ihn innehalten.
»Ich sehe, dass unsere geschätzte Topas mehr gwai-lo als Chinesin ist …«, meinte Ching verächtlich und ungeduldig. »So viel Aufmerksamkeit ist nicht vonnöten, Captain. Bitte machen Sie sich keine Umstände.«
In schärferem Ton sprach er Tamiko-san an, die an den Tisch geeilt war. »Schaffen Sie diese Schlampe hier hinaus, ehe sie den ganzen Tisch vollkotzt … und nehmen Sie auch die Chi-Chi mit. Wir haben uns jetzt um Geschäftliches zu kümmern.« Tamiko-san entschuldigte sich überschwänglich und scheuchte die Mädchen mit ihrem Fächer aus dem Bankettsaal.
Ehe Ching noch mehr sagen konnte, schleuderte Captain Hyde-Wilkins die Serviette auf den Tisch. »Wenn Sie erlauben, Colonel«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme, »auch wenn wir die Gastfreundlichkeit unseres Gastgebers sehr zu schätzen wissen und seinen Humor tolerieren, möchte ich Ihnen dringend raten, das ernste Thema des Ausbaus unserer Grenzkontrollen und die Stärkung unserer Abwehr besser zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort zu besprechen. Vielleicht mit einem größeren Augenmerk auf das feindliche Vorrücken und einem kleineren auf üppige Speisen und Getränke.«
Ah-Keungs Hände fuhren auseinander, und seine Haltung wurde wachsam. Er machte einen kleinen Schritt auf den Adjutanten zu und erwiderte dessen eiskalten Blick.
Ching ließ sein gönnerhaftes Verhalten fallen. »Du darfst uns jetzt allein lassen, Ah-Keung. Ich bitte um Verzeihung, meine Herren. Sie haben recht - lassen Sie uns zu unserem eigentlichen Anliegen übergehen.« Unvermittelt geschäftsmäßig, führte Ching die britischen Offiziere zu den bequemen Diwans.
»Meine Herren, mein Unternehmen führt seit vielen Jahren Handel mit den Japanern. In Tokio habe ich viele Freunde, und sie
haben mir einen Vorschlag gemacht, den ich nun Ihnen unterbreite. Wie Sie wissen, rücken die japanischen Streitkräfte unter General Jiro Toshido gegen Hongkong vor.«
Er lächelte süffisant. »Die haben keine Eile … Hongkong läuft ihnen ja nicht davon. Meine Partner in Tokio haben bewiesen, dass Widerstand zwecklos ist. Viele Tausende Chinesen sind tot, weil sie sich gegen die kaiserlichen japanischen Stoßtruppen zur Wehr gesetzt haben.«
»Das stimmt nicht ganz«, versetzte der Captain. »Es handelte sich um wehrloses Tanka-Schiffsvolk und Hakka-Bauern, die ihre Häuser und ihre Familien zu verteidigen versuchten. Die Japaner haben sie niedergemetzelt.«
Ching hob ergeben die Hände. »Verzeihung! Wie Sie wissen,
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