Die Tochter der Konkubine
anderen Dingen, die Ihrer Mutter am Herzen lagen, sicher in meinem Haus aufbewahrt.«
Zu Füßen der Göttin lagen zwischen frischen Blumen und reifen Früchten eine reich mit Muscheln verzierte Schachtel, eine Kinderflöte aus Bambus, ein mit einem goldenen Band zusammengehaltenes Bündel Briefe und ein Paar wunderhübscher Grassohlenschuhe.
Durch die Gelbe-Drachen-Akten aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters erfuhr Sing von der wahren Natur der Drohung der Triade gegen das Haus Devereaux. Unter einem einfachen schwarzen Einband gab das erste Tagebuch einen Überblick über die Geschichte des Geheimbunds Gelber Drachen - von seinen Jahrhunderte alten Ursprüngen als Widerstandsarmee im Untergrund, die sich gegen Tyrannei und Korruption richtete, bis zu einer von Shanghais berüchtigtsten chinesischen Geheimgesellschaften - und nannte die führenden Familien, die schon seit etlichen Generationen vertreten waren, wie das Haus der Ho-Ching, dessen älteste Söhne als Oberherren oder Drachenköpfe dienten. Mit dem Fokus auf die Jahre 1880 bis 1890 und den Drachenkopf Ho-Tzu »Titan« Ching behandelte es ausführlich dessen Verbrechen von Schutzgelderpressung, Folter und Mord bis zu Entführung, Brandstiftung und Erpressung von herausragenden Regierungsbeamten jener Zeit. Es war unterzeichnet mit »Jean-Paul Devereaux«.
Angus hatte Sing von dem Imperium erzählt, das ihr Großvater mit den im Opiumhandel erzielten erstaunlichen Profiten errichtet hatte. Mit dem Boxeraufstand war es ihm 1890 genommen und sein Grundbesitz niedergebrannt worden. Das zweite Tagebuch war ähnlichen Inhalts, jedoch in der schwungvolleren Schrift ihres Vaters geschrieben. Es deckte wichtige Aktivitäten des Gelben Drachens in Hongkong und Macao ab - unter dem Drachenkopf J. T. Ching.
Nachdem sie jede Seite zweimal gelesen und verarbeitet hatte, rief sie Angus Grant an und erzählte ihm von ihrem Fund.
»Haben Sie schon jemandem davon erzählt, irgendjemandem?«, wollte er sofort wissen. Sing versicherte ihm, das habe sie nicht.
»Braves Mädchen«, sagte er. »Sperren Sie die gut weg, bis ich da bin.«
In weniger als einer Dreiviertelstunde traf er ein und beharrte darauf, dass sie ihm die Akten brächte, damit er die Geheimschublade nicht zu Gesicht bekomme. »Hätte Ben gewollt, dass ich weiß, wo sie ist, hätte er es mir gesagt.« Noch nie hatte Sing den gewöhnlich unbekümmerten Rechtsanwalt so angespannt gesehen.
Aus der Flasche, die sie für ihn aufgehoben hatte, goss er sich einen Glenfiddich ein. »Ich möchte, dass Sie mir die Akte über J. T. Ching bringen. Ich kopiere sie und bringe sie Ihnen zurück. Erzählen Sie niemandem davon, nicht einmal Toby oder Miss Bramble. Wenn sie das ist, was ich vermute, könnte sie sich als Dynamit an einer kurzen Zündschnur erweisen!«
33. KAPITEL
Der Wolkengarten
Winifred Bramble verkündete, im Peninsula Hotel werde ein Ball zugunsten der Flutopfer abgehalten, dessen Erlös für den Wiederaufbau des zerstörten Dorfes Tai-Po verwendet werde. Auf ihren Rat hin besuchte Sing den Ball in einem westlichen Kleid aus austernfarbener Seide, das sie mit einer schwarzen Perlenkette kombinierte. Das Haar hatte sie in schimmernden Locken hoch aufgesteckt, so dass ihr langer Hals und die passenden Perlenohrstecker ins rechte Licht gerückt wurden.
Sie wusste, dass über sie geredet und gerätselt wurde. Nachdem sie sich in Gesellschaft von Ausländern befand, hatte sie gelernt, sich so zu benehmen und zu kleiden wie sie, die englische Sprache zu benutzen und das Thema ihrer Herkunft zu meiden. Wenn irgendein Chinese, dem sie begegnete, etwas Böses murmelte, tat sie, als hätte sie es nicht gehört oder verstanden. Ihr war wohl bewusst, dass die englischen Ladies auf sie herabblickten. Trotz aller Bemühungen Miss Brambles, sie als »eine junge Freundin aus Macao« in die Gesellschaft einzuführen, wusste Sing, dass sie als »Captain Hyde-Wilkins eurasisches Betthäschen« abgetan wurde.
Sie hatte rasch gelernt, dass ihre beste Veteidigung die war, viel zu beobachten und wenig zu sagen. Sie würde sich nicht einschüchtern lassen und zu Hause bleiben, zumal der Anlass ihr so am Herzen lag.
An diesem Abend waren nur der Gouverneur und seine Entourage Sir Justin Pelhams Gesellschaft an Bedeutung überlegen, insofern erwartete sie keine großen Konfrontationen. Jede namhafte Familie und jedes namhafte Unternehmen Hongkongs war vertreten,
einschließlich der ausländischen Konsulate und der reichsten
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