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Die Tochter der Konkubine

Die Tochter der Konkubine

Titel: Die Tochter der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pai Kit Fai
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der Kolonie.«
    Toby war so überzeugend, dass Sing fast hätte meinen können, er habe ihre Demütigung in der Taverne der herabstürzenden Juwelen nicht miterlebt. Sein unerschütterlicher Blick machte Sing Mut, und ihr ging auf, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als Mr. Chings Spiel mitzuspielen und zu sehen, wohin es führte.
    Ching hatte getrunken, sein Atem roch stark nach Brandy. Tobys Bemerkung schien er nicht gehört zu haben. Er holte eine Brieftasche aus seiner Brusttasche, zog eine mit Blattgold überzogene Visitenkarte hervor und überreichte sie Sing mit einem affektierten Lächeln.
    »Auf den Straßen Hongkongs geht es nicht immer so freundlich zu wie auf denen im alten Macao. Gestatten Sie mir, Ihnen meine Dienste anzubieten. Ich hoffe, Sie finden Zeit, mich zu besuchen … ich bin mir sicher, es wird sich etwas finden, wobei wir Ihnen behilflich sein können, während Sie hier sind. Sie können diese Nummer jederzeit anrufen, dann schicke ich Ihnen einen Wagen, der Sie abholt.«

    Die Dachgärten des Ho-Ching-Asia-Komplexes im North-Point-Distrikt von Hongkong Island waren exakt auf die Anforderungen J. T. Chings zugeschnitten. Der Ort, den er Wolkengarten nannte, war ein privater Zufluchtsort. Nur wenige hatten bislang die Ehre gehabt, ihn zu sehen.
    In einer Stadt, in der Extravaganz das Gütesiegel des Erfolgs war,
beherrschten die drei HCA-Türme alle anderen Wahrzeichen. Sie erhoben sich wie riesige Klingen aus Stahl und Glas aus dem Hafenviertel, wobei ihre Schatten shar-chi - Pfeile der Dunkelheit - auf die Konkurrenten ringsum werfen sollten. Die Abergläubischen nannten seine kriechende Bedrohung die ›Sonnenuhr der Zerstörung‹, und manche glaubten, dass die riesigen Fundamente so angeordnet waren, dass sie das Symbol der Triade bildeten.
    Mehrere Tage nach dem Ball zu Gunsten der Flutopfer hatte Sing die Nummer auf J. T. Chings Visitenkarte angerufen. Toby war eilig zum Regiment beordert worden, und obgleich er sie gebeten hatte, nichts zu überstürzen, fand Sing, dass die Zeit gekommen sei, in der Untätigkeit am gefährlichsten war. Über die Skrupellosigkeit des Mannes, der sie zu besitzen glaubte, machte sie sich keine Illusionen. Als er ihr seine Karte gegeben hatte, ohne ihre frühere Verbindung preiszugeben, hatte er sowohl eine Warnung als auch eine Vorladung ausgesprochen.
    Gekleidet in ein schlichtes, kohlgraues Geschäftskostüm westlicher Art, das Haar zu einer strengen Frisur frisiert, trug Sing keinerlei Make-up oder irgendeinen Schmuck. Die Villa Formosa hatte sie mit dem befriedigenden Gefühl verlassen, dass sie der angehenden Pfeifenmacherin aus Macao so wenig ähnelte wie nur möglich.
    Als die für sie geschickte Limousine dahinglitt, nahm Sing die unendliche Wasserfläche, die sie normalerweise so verzauberte, gar nicht wahr. Ihre Gedanken weilten bei der Herausforderung, die ihr bevorstand, und dem Inhalt in dem schmalen Aluminium-Aktenkoffer auf ihrem Schoß.
    Eine uniformierte Leibgarde begleitete sie vom Wagen in das feudale Foyer des Executive Tower, über eine breite Marmorfläche zu einem Privataufzug. Eine junge Frau in einem schicken weißen Cheongsam begleitete sie schweigend auf der Fahrt hinauf ins Penthouse. Sie führte sie durch einen flüsterleisen Vorraum hin zu einer breiten Treppe, die mit teuren Gemälden gesäumt war, verneigte sich dann und entfernte sich.
    Am Treppenende befanden sich riesige Türen aus poliertem
Stahl, die von zwei ebenso riesigen stehenden Buddhas, die prächtig mit Blattgold überzogen waren, bewacht wurden. Noch mehr Blattgold befand sich in Form von briefmarkengroßen Quadraten in einer Kristallschüssel auf einer goldenen Plinthe vor jeder Statue. Man musste ihr nicht sagen, dass sie, um Einlass gewährt zu bekommen, zunächst Siddharta Gautama, dem Allerhöchsten, huldigen musste. Sie nahm aus jeder Schale ein Viereck und fügte sie der dünnen Kruste aus purem Gold hinzu, die den Buddhas ihren prachtvollen Glanz verlieh. Fast lautlos öffneten sich die Türen und enthüllten den erstaunlichen Ausblick auf die Wolkengärten.
    Es war, als hätte sie einen anderen Planeten betreten. Kühle, schillernde Dunstschwaden aus Sprinklern zogen über grüne Rasenabschnitte, die der Luft eine Bergfrische verliehen. Das Glucksen sich bewegenden Wassers dämpfte den fernen Lärm, der vom Hafengebiet tief unten heraufdrang.
    Ein Teehaus aus der Han-Zeit schien inmitten dieser atemberaubenden Gärten zu schweben. Geblendet von

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