Die Tochter der Konkubine
eine Entscheidung würde der Abt segnen«, sagte sie, »und sie würde den Mönchen weniger bedeuten als ein Streit zwischen Habicht und Spatz. Niemand sonst wird davon erfahren.« Konnte sie das Kind in ihm erreichen? »Muss denn einer von uns wegen des Schicksals unserer Eltern sterben? Wir haben den Geheimnissen der Erde und des Himmels unsere Herzen und unseren Verstand gegeben, haben unser Leben der Suche nach Vervollkommnung des Geistes, des Körpers und der Seele gewidmet. Wir können den Willen der Götter herausfordern, du und ich!«
Ah-Keung schüttelte ihre Worte ab, wie ein Hund Wasser aus seinem Fell schüttelt. »Am Weg des Kriegers können wir nichts ändern. Hat man den Weg erst einmal eingeschlagen, gibt es kein Zurück mehr.«
In seiner weit geschnittenen Hose, die von einer karminroten Schärpe gehalten wurde, tappte er katzengleich um sie herum. »Wir haben viel zu lange darauf gewartet, dass die Sonne auf einem Felsen aufgeht, der keinen Meister kennt. Unser si-fu ist nicht hier, um ein Urteil über uns zu sprechen. Nur du und ich werden wissen, wer diesen Ort verlässt und wer nicht.«
Sing, die wusste, dass ihre Worte wirkungslos geblieben waren, schwieg. Ihr Blick drang furchtlos in die schwarzen Tiefen seiner Augen ein, suchte nach der Schwäche, die, das wusste sie, auch dort war. In einem Zeitraum, kürzer als ein Lidschlag, offenbart sich die Absicht vor der Handlung. Das trifft auf die Kobra zu, ehe sie angreift … diesen Bruchteil der Ewigkeit dürfen wir nicht verpassen, sonst kann es unser letzter sein. Es ist der unendliche Raum zwischen Leben und Tod. Dass er uns entgeht, dürfen wir nicht zulassen.
Sie hörte ein Klirren, als ihr etwas vor die Füße geworfen wurde - das Geburtsarmband, das Fisch einst getragen hatte. »Zu schade, dass die alte Hexe ihr süßes Schweinchen nicht mehr beraten kann.« Jetzt waren seine Worte brutal in ihrem Spott.
Die Wolkenfäden hatten sich zu Strängen versponnen und feierten
das kommende Tageslicht. »Während unser geliebter Meister von seinem Himmelstempel herabblickt, wird er Roten Lotus sehen, seine letzte Schülerin, wie sie sich den Fertigkeiten des Schwarzeid-Wu stellt.«
Sie blickte ihm unverwandt in die Augen, während sie sich mit ihm drehte, als er einen großen Kreis beschrieb. »Er ist hier«, sagte sie kalt. »Mein si-fu lebt durch mich. Das Amulett trägt nicht länger das Kobragift. Du bist ein Feigling, Energischer. Eine Veränderung zu meistern überfordert dich. Du konntest dem Meister auf dem Felsen nicht gegenübertreten, also hast du ihn vergiftet. Eine wehrlose alte Frau ließ sich mit einem einzigen Schlag leicht niederstrecken. Nun machst du dich daran, in einem tödlichen Kampf gegen eine Frau anzutreten. Es gibt nichts, worauf du stolz sein könntest, Hundejunge!«
Er schien sie nicht zu hören, doch sein Lächeln war verschwunden. »Alle großen Meister müssen schließlich durch die Hand niedergestreckt werden, die ihnen einst gehorchte. Das ist schon seit tausend Jahren der Weg des Kriegers.«
Sing antwortete mit einstudierter Verachtung. »Von Auge zu Auge und von Hand zu Hand, nicht durch Täuschung und Verrat.« Sie stachelte seinen Zorn an. »Du bist ein Dieb und ein Lügner, Ah-Keung! Während ich ein Leben der Hoffnung verfolgt und meine Wahrheit gefunden habe, suchst du nur die Dunkelheit falscher Götter. Ich bin nicht mehr das Kind, das Angst vor Spinnen hat, aber du bist noch immer der Hirtenjunge mit dem verdrehten Fuß!«
Ah-Keung stolzierte vor ihr umher, streckte und erprobte seine Glieder. »Ich habe mich oft gefragt, was er dir beigebracht hat, das er mir nicht beibringen wollte. Erinnerst du dich noch? Übst du dich in der Kunst spirituellen Boxens? Kämpfst du in deinen Träumen gegen mich?« Sein Ton war zuversichtlich, beinahe frivol, wie ein Mann, der mit einem eigensinnigen Kind spricht, ehe er es bestraft.
Als er die Hände zu Fäusten ballte, zuckten seine Brust - und
Bauchmuskeln, und das fauchende Gesicht des Tigers schien zum Leben zu erwachen. Sing hob sich vollkommen reglos gegen den leuchtenden Himmel ab. Zeit und Entfernung verloren an Bedeutung für die, die sich allein auf dem vergessenen Plateau der Lantau-Insel befanden. Die große Tempelglocke dröhnte wie die Stimme Buddhas, hob sich mit einem fernen Mantra, die schimmernden Vibrationen tausender Kehlen im Gebet.
Der Tiger umkreiste den Kranich, murmelte leise Drohungen, die ihn nervös machen sollten. Es waren
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