Die Tochter der Konkubine
und Kräutern behängt waren, blieb sie stehen.
»Hier ist dein Schlafplatz.« Kiesel ließ ihren Teil des Bündels auf die Bettstelle fallen und deutete mit dem Fuß auf die Kiste. »Und hier bewahrst du deine Sachen auf. Niemand wird dir diese Fetzen stehlen, aber falls du etwas von irgendeinem Wert hast, verstecke es gut.« Die Hütte wurde bereits schwach vom gelben Licht beleuchtet, das von mit Öl gefüllten Tontöpfen mit einem einzigen Docht ausging. Glühwürmchen flatterten durch die sich ausbreitenden Schatten. Die mui-mui hatten sich im Raum verteilt - hockten, saßen, lagen. Manche waren angekleidet, manche nackt und trockneten sich gerade das vom Fluss noch nasse Haar oder versuchten, sich in dem Stimmengewirr Gehör zu verschaffen. Sie erinnerten Li-Xia an Enten, die von den Teichen auf die Reisterrassen gescheucht wurden.
Als sie sich ihr zuwandten, wurde das Geplapper leiser. Noch nie hatte Li-Xia in so viele Augenpaare geblickt, in so viele verschiedene Gesichter. Flüchtig zeigten sie Interesse, wandten sich dann wieder ab und kämmten und flochten einander das Haar oder suchten sich gründlich nach Läusen ab.
Kiesel stieß einen leisen Pfiff aus, woraufhin vier Mädchen sich
von den anderen lösten und zu ihnen kamen. Sie bedeutete ihnen, sich zu setzen, und ging auf die Knie, um die Lampe anzuzünden.
»Im Hain arbeiten wir in Gruppen zu sechst, jede mit ihrer Aufseherin. Ich bin Aufseherin der mung-cha-cha -Gruppe und die Älteste unter den mui-mui . Ich arbeite schon länger in den Hainen als jede andere.«
Sie tippte sich mit dem Finger an die Stirn und zog eine Grimasse. » Mung-cha-cha bedeutet ›ein wenig verrückt‹. Wenn man unter Verrückten lebt, kann es manchmal geraten sein, dumm zu wirken.« Sie schenkte Li-Xia ein breites, schiefes Grinsen. »Ein bisschen zu spinnen verleiht einem Macht. Vor Verrückten hat jeder Angst.«
Sie wandte sich Li-Xia ganz zu und legte ihr als Willkommensgruß eine Hand auf die Schulter. »Wir betrachten uns nicht als Gruppe, sondern als Familie. Das hier sind deine Schwestern.«
»Die hier heißt Li-Xia - die Schöne, diesen eitlen Namen hat ihr ihr gieriger Vater gegeben, um ihren Preis in die Höhe zu treiben. Deshalb nennen wir sie Holzapfel, süß anzuschauen, aber schwer zu schlucken.« Sie grinste das neueste Familienmitglied beifällig an. »Ob sie süß oder sauer ist, wird sich noch herausstellen, aber Ah-Jehs Rute hat sie bereits ohne Mucks über sich ergehen lassen, kein Ton, kein Wimpernzucken … passt also gut auf sie auf, bis sie weiß, was sie als mui-mui zu tun hat.«
Zärtlich sprach die Vorarbeiterin von den vier Mädchen, die im Schneidersitz um sie herum saßen, und stellte nacheinander jedes vor. »Das ist Schildkröte, weil sie sich gern in ihr Schneckenhaus verzieht. Sie hört lieber zu, als dass sie redet, und daher sieht sie alles. Ihr entgeht nichts, was unter den Weiden geschieht. Wende dich an sie, falls es nötig ist. Sie wird dir auch beibringen, aus einer Fischgräte eine Nadel zu fertigen, deine Kleider zu flicken und aus gestohlener Seide schöne Dinge herzustellen.«
Schildkröte war das kleinste der Mädchen und war ganz vertieft in eine Näharbeit, sie konzentrierte sich auf jeden winzigen Stich, und nickte ihr lächelnd einen stummen Willkommensgruß zu.
»Das ist Knoblauch, weil sie viel davon roh isst und nicht wie eine Sommerrose riecht, doch sie verneigt sich vor niemandem, und in Schwierigkeiten gibt es keine bessere Freundin als sie. Sie wird dir beibringen, wo man seltene Heilkräuter findet, wie man aus Kerzenwachs und Blumen Seife macht und wie man eine Bambusflöte schneidet und formt.« Ein etwas größeres Mädchen, schon halb ausgezogen, mit kleinen Brüsten mit dunklen Spitzen, grinste keck. Ihre Zähne strahlten in einem schmutzigen Gesicht, das nichts verbarg.
»Das ist Beifuß, weil sie so hässlich ist wie eine Sau von hinten … aber innerlich so hübsch wie eine Pflaumenblüte im Frühling. Beifuß wird dir beibringen, wie du deine Sandalen flickst und deinen Hut mit Rohrgras und Binsen ausbesserst.«
Beifuß machte eine kunstvolle Verbeugung und umarmte Li-Xia kurz und fest.
»Und das ist Erdnuss … sie ist wirklich mung-cha-cha , ein bisschen verrückt, aber ihre Gedanken sind sanft und ihr Geist gütig, deshalb ist sie immer glücklich. Erdnuss wird dich lehren, zu lachen, wenn du traurig bist, und das ist das größte Talent von allen.« Erdnuss besah sich das kleine Mädchen
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