Die Tochter der Konkubine
… oder sogar eine Weberin. Zunächst aber musst du dir deinen Platz unter den mui-mui verdienen - und denk daran, du bist die jüngste und geringste unter den Schwestern, versuche also nicht, mehr zu sein, als du bist.«
Die Rute wurde in Richtung Tür geschwenkt, als Ah-Jeh sie mit dem entließ, was möglicherweise die Andeutung eines Lächelns war.
»Geh jetzt, ehe ich es mir anders überlege und dich zu deiner weißen Fuchsmutter zurückschicke.«
Kiesel verbeugte sich, während sie hastig rückwärtsging. Li-Xia, vollbepackt mit ihrem neuen Besitztümern, trat ebenfalls von dem Geruch brennender Räucherstäbchen zurück und in das schwindende Sonnenlicht und eine vom Fluss her wehende Brise hinaus. Sie folgte der krummbeinigen Frau ohne Furcht, aber mit dem seltenen Gefühl, vor einem aufregenden Abenteuer zu stehen.
Als sie fort waren, blieb Ah-Jeh auf ihrem Hocker sitzen und grübelte über diesen Kauf nach. Die meisten mui-mui kamen halb
verhungert oder verstümmelt an, hergebracht von leidgeprüften Eltern, die es sich nicht länger leisten konnten, sie zu ernähren. Gelegentlich erschien ein außergewöhnlich vielversprechendes Mädchen wie dieses von Yik-Munns Gewürzfarm, dieses Kind, das ihr törichter Vater »Die Schöne« genannt hatte; Ah-Jeh hatte bereits ein Licht entdeckt, das bei jemand so Jungem selten anzutreffen war, vor allem bei jemand, dem man so übel mitgespielt hatte.
Unter den Amahs aus Yik-Munns Haus waren zwei Ältere Schwestern der sau-hai . Sie hatten Berichte über das Kind geschickt, das sie »Fuchsfee« nannten, und über seinen Widerstand gegen Yik-Munns drei Ehefrauen. Es war auch kein Geheimnis, dass Li-Xias Mutter, ein Flittchen aus Shanghai, sich in dem Glauben, man hätte ihr Neugeborenes lebendig im Senffeld begraben, das Leben genommen hatte.
Der Gewürzbauer hatte gut daran getan, sich dieser Last zu entledigen. Ihr Geist würde gezähmt werden, und vielleicht würde sie eines Tages die Laterne in Ming-Chous Haus tragen. Wenn nicht, war es gut möglich, dass sie das Zeug dazu hatte, eine Schwester von sau-hai zu werden. Ja, Ah-Jeh war zufrieden mit ihrem Kauf und freute sich bereits auf eine großzügige Provision. Sie würde die Schöne mit großem Interesse im Auge behalten.
Nachdem sie draußen und ein gutes Stück außer Hörweite der Vorsteherin Ah-Jeh waren, sprach die Frau namens Kiesel in fröhlichem, sorglosem Ton. Sie ging mit großen, sicheren Schaukelschritten voran und drehte sich dann um, um Li-Xia etwas von ihrer Last abzunehmen. Sie ging rückwärts, und ihre Augen blickten sie mit offener Neugierde und voller Fragen an.
»Warum nennt man dich die Schöne? Du siehst doch gar nicht schön aus, finde ich.« Sie neigte den Kopf und rümpfte die Nase. »Aber deine Wimpern sind lang und gebogen, das ist schon mal was, und dafür, dass du noch so klein bist, ist dein Haar ziemlich lang und glänzend.«
Kiesel redete hastig weiter, als würde ihr aufgehen, dass sie vielleicht
unhöflich gewesen war. »Schau mich an, meine Wimpern sind so kurz und gerade, dass man sie gar nicht sieht!« Sie lachte kurz auf. »Als ich zur Welt kam, haben die Götter sich versteckt!«
»Meine Mutter war ho, ho-leung . Sie war eine Gelehrte aus der großen Stadt Shanghai. Sie hieß Pai-Ling, und sie war qian-jin , angeblich tausend Goldstücke wert.«
»So etwas habe ich schon gehört, aber ich warne dich, sprich hier nicht davon. Die mui-mui wissen wenig von Schönheit und nichts von Gold.« Dann fragte sie hinter vorgehaltener Hand: »Aber habe ich Ah-Jeh nicht sagen hören, deine Mutter wäre eine weiße Füchsin und du eine Fuchsfee?« Sie wartete die Antwort gar nicht ab, sondern grinste und spuckte gekonnt in den Staub. »Das ist viel interessanter. Namen und Mütter spielen hier keine Rolle. Jeder, der über das eine oder andere verfügt, würde mit großem Argwohn betrachtet. Die wenigsten von uns wissen, wer sie sind. Unsere Mutter ist die Mondfrau - sie bringt uns Erholung und teilt unsere Träume.«
Sie zuckte mit den Schultern und reckte ihr Kinn. »Nach allem, was ich von meiner Mutter weiß, hätte sie eine dreibeinige Kröte oder ein Wolf oder vielleicht ein Phönix sein können, der sich eines Tages vom Fluss erhebt, um mich von hier fortzunehmen.«
Li-Xia spürte, wie ihr Herz bei der Erwähnung der Mondmutter kurz aussetzte. Konnte das die Familie sein, von der sie im dunklen Reisschuppen geträumt hatte? Hatte Pai-Ling sie an diesen Ort geführt?
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