Die Tochter der Konkubine
Kaninchenfellhüte, wattierten Jacken und Umhänge aus Flachsgras wärmten sie einigermaßen, aber Hände und Füße waren eiskalt und mit Frostbeulen übersät.
Von den drei verfügbaren Eisenkohlenbecken wurde in jede Hütte eines geschleppt und mit Holz und Büffeldung beheizt, die glühende Glut dann in einen niedrigen Graben gefüllt, der zwischen den Bettenreihen ausgehoben worden war. Li-Xia war sich sicher, sie würde entweder erfrieren oder durch herumfliegende Funken Feuer fangen und verbrennen. Wärme und Wohlgefühl waren fast vergessen, als die Winde unvermittelt nachließen und es wärmer wurde.
Am Frühlingsanfang, am dritten Tag des dritten Mondes, war der Totengedenktag Ching-Ming, ein Tag, an dem die Familien in ganz China ihren Ahnen Respekt zollten, indem sie ihre Gräber pflegten und an ihren Gräbern ein Freudenfest veranstalteten. Frische Blumensträuße wurden mitgebracht und Unmengen von Räucherstäbchen verbrannt. Man zündete Gold - und Silberpapier an und schickte es zu Ehren der Toten nach oben, von deren Geistern man annahm, dass sie umherschwebten, so lange ihr Ruheplatz hergerichtet wurde und man ihrer ordnungsgemäß gedachte. Am
allerwichtigsten war das Sammeln von Weidenkätzchen, die als das Symbol für alles galten, was jung war, und einen erntereichen Sommer versprachen. Die ersten Lebenszeichen der neuen Jahreszeit schmückten die alten Bäume von Zehn Weiden wie flüssiges Gold und waren umgeben von Bienenschwärmen und Scharen weißer Schmetterlinge.
Der Tag von Ching-Ming war ein derart feierlicher Anlass, dass alle Arbeit ruhte, die Webrahmen stumm blieben und die mui-mui sich ausruhen durften.
»Holzapfel, heute wirst du erleben, dass selbst die mung-cha-cha Ahnen haben, die sie mit einem freundlichen Mond segnen«, sagte Kiesel. Während andere auf ihren Betten lagen, Wäsche wuschen oder ihre Kleidung ausbesserten, flocht die Familie Weidenkätzchenkränze und schmückte sich mit den goldenen Blüten. Jede mit einem großen Strauß in der Hand, marschierten sie meilenweit den gewundenen Fluss entlang, folgten dem Uferpfad, pflückten dabei Blumen, Pilze und wilde Erdbeeren. Dschunken aller Größen und Formen fuhren vorbei. Die meisten waren mit Chinesen bemannt, doch es war auch eine mit einer ausländischen Takelung dabei. Ein kurzer Mast mit einem ausgebesserten Segel erhob sich auf dem Vorderdeck; hinter seinem Ruderhaus stieg aus einem hohen Schornstein schwarzer Rauch auf. Drinnen, die Hände am Steuer, lenkte ein Mann, wie ihn Li-Xia weder im Wachen noch im Traum jemals gesehen hatte, den rostigen Rumpf mit stetem Blick durch die Sandbänke. Seine üppigen schwarzen Locken wurden von einem roten Stoffstreifen zusammengehalten, und an seinem Ohr baumelte ein goldener Ohrring. Oberhalb der Taille war er unbekleidet, und seine Arme und seine Brust waren dicht behaart und schweißglänzend. Beim Anblick des gedrungenen Schiffes und seiner dunklen Rauchsäule führte Kiesel sie schnell von dem kleinen Damm hinunter und fort vom Flussufer.
»Das ist ein gwai-lo , ein Kinderfresser, auf einem portugiesischen Schiff aus Macao. Diese dunkelhäutigen fremden Teufel sind schlimmer als die Piraten, die sie angeblich bekämpfen.
Manchmal kommen sie an Land und nehmen sich das erstbeste Mädchen, das ihnen in die Hände fällt, und niemand kann es verhindern. Hoffentlich ist er bald vorbei mit seinem Gestank!«
Zum ersten Mal spürte Li-Xia Angst bei Kiesel, doch sie konnte ihren Blick nicht von dem Teufel mit seinem roten Kopftuch reißen. »Ich dachte immer, der gwai-lo ist rosa und weiß oder so rot wie Feuer. Das jedenfalls hat mir Frau Nummer Drei auf Gut Große Tanne erklärt.« Der Anblick eines solchen Wesens jagte ihr Angst ein und faszinierte sie zugleich. Zu ihrem Entsetzen winkte er ihnen zu und rief etwas Unverständliches herüber. Ein Chinese aus der Mannschaft, der auf einer Taurolle saß, lachte närrisch und rief etwas in Gossenkantonesisch. »Mein Kapitän gibt euch Essen und Wein, vielleicht sogar eine Silbermünze, wenn ihr an Bord kommt und ihn unterhaltet!«
»Sag ihm, dass er der Sohn einer Seeschlange ist und wir uns lieber die Kehle aufschlitzen würden, als an Bord seines stinkenden Höllenschiffs zu kommen!«, rief Knoblauch über das Wasser. Als Antwort trat der portugiesische Kapitän aus dem Ruderhaus und an die Reling. Dort entblößte er sich vor ihnen und urinierte in den Fluss.
»Sind alle fremden Teufel so hässlich wie der da?«
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