Die Tochter der Konkubine
entdeckte.
Hier sammelten sie lichtblaue und olivgrüne Eier und achteten dabei sorgsam darauf, immer zwei zurückzulassen und die Eier mit einem Blatt herauszunehmen, damit der Geruch der menschlichen Hand die Entenmutter nicht dazu brachte, das Nest nicht mehr anzunehmen. Die Eier wurden in Kiesels Hut gelegt und unauffällig zur Rückseite von Riese Yuns Hütte gebracht. Dort benutzte Kiesel, während die Familie der mung-cha-cha Wache hielt, einen Bambusstock, um in der weichen, feuchten und von Farn verborgenen Erde ein Geheimversteck von Eiern offenzulegen. Sie wurden sorgsam nebeneinandergelegt, Reihe für Reihe, eines über dem anderen unter dicken Lagen verrottenden Strohs, jedes in ein Nest nassbrauner Blätter gewickelt. Kiesel wedelte den kräftigen organischen Geruch beiseite, nahm ein Ei aus seiner matschigen Hülle und reichte es Li-Xia. »Zwischen diesen Farnen befinden sich mehr als zweihundert gesalzene Eier, aber nur Riese Yun und ich wissen, wo sie vergraben sind.«
Li-Xia rieb den Schmutz und das verkrustete Salz vom Ei ab, wusch es im Fluss und schälte die harte Schale ab.
»Um ein echtes Mitglied unserer Familie zu werden, musst du schwören, diesen geheimen Ort zu hüten, und zur Besiegelung des Eides dieses Ei essen. Aber zunächst musst du es ans Licht halten.« Li-Xia entdeckte, dass das Eiweiß so durchsichtig geworden war wie bernsteinfarbenes Gelee und sie daher den dunklen Dotter sehen konnte, der wie ein Planet in einem goldenen Himmel schwebte. »Das ist ein Symbol unserer Mutter, der Mondfrau. Jetzt musst du es essen.« Es schmeckte köstlich, der Dotter war so weich und salzig wie der Mondkuchen eines reichen Mannes. »Das ist ein Hundertjahres-Ei im mung-cha-cha -Stil«, vertraute Kiesel ihr kichernd an. »Wir können keine hundert Jahre warten, also vergraben wir sie im Sommer und essen sie im Winter, wenn es sonst nichts gibt, das unseren Reis würzt.«
Die anderen Familienmitglieder kamen herbei und hockten sich um Li-Xia herum. »Es wird Zeit für deine Initiation.« Sie spuckte sich in die Hand, rieb sich den Schmutz von der Innenseite ihres rechten Fußknöchels und enthüllte eine kleine Tätowierung, die aus einem kleinen chinesischen Schriftzeichen bestand. Li-Xia wusste, dass es für den heiligen Namen für »Mond« stand. Beifuß und Erdnuss, Knoblauch und Schildkröte zeigten ihr ebenfalls die Mondzeichen an ihren Knöcheln.
Knoblauch reichte Kiesel einen nadelscharfen Bambussplitter und die ausgehöhlte Hälfte einer Bohnenhülse, die eine dunkle Flüssigkeit enthielt. Kiesel spuckte auf Li-Xias Knöchel und wischte ihn sauber. »Das ist eine besondere Tinte, die uns Riese Yun gemischt hat, der in solchen Dingen ein Meister ist. Sie tut dem Blut gut und heilt schnell.«
Sie piekste Li-Xia so oft mit der Bambusnadel, dass diese zu zählen aufhörte, ging dann in die Hocke und sagte: »So, Holzapfel. Nun gehörst du für immer zu den mung-cha-cha , und die Mondfrau wird für immer deine Mutter sein.«
Zurückgesetzt vom Flussufer, jenseits des flach geschindelten Dachs der Spinnerei, stand - vornehm für sich - das Himmlische Haus Ming Chous. Von den Hainen aus konnte man nur ferne Blicke von dem scharlachroten Dach und den ummauerten Gärten erhaschen.
Die mui-mui nannten es das Himmelsdach. Selbst die mung-cha-cha sprachen ehrfürchtig darüber, wenn sie im Schatten der Maulbeerbäume über yum-cha klatschten.
»Das ist ein Ort, an dem in den Wasserfällen Diamanten herumwirbeln, wo fette Fische die Teiche füllen und Schuppen aus reinem Gold und Schwänze aus feinster Seide haben«, erzählte Beifuß, die mit geschlossenen Augen an einem Baum lehnte, verträumt. »Auf den Lotusblättern bilden sich Tautropfen, die sich, wenn sie von der Sonne beschienen werden, in Perlen von unschätzbarem Wert verwandeln. Die Wege sind mit Edelsteinen von jeder Farbe eingefasst.«
»Die Bäume blühen das ganze Jahr hindurch und beherbergen Nachtigallen, deren Eier bekanntlich wertvolle Juwelen enthalten«, meldete Erdnuss sich zu Wort. »Ich habe gehört, die Blumen verblühten nie, und hinter diesen Mauern herrsche ewiger Frühling … und die Pfauen, die zwischen ihnen umherstreifen, besäßen Federn, die aus einem Regenbogen gezupft und von Diamanten bekrönt würden.«
Sich die Gärten des Himmlischen Hauses vorzustellen war ein Spiel, das alle, die sie nie zu Gesicht bekommen würden, gern spielten: Selbst Schildkröte machte dabei mit. »Dort gibt es
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