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Die Tochter der Konkubine

Die Tochter der Konkubine

Titel: Die Tochter der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pai Kit Fai
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dem Rollen eines Würfels verloren ist«. Stechende Kochgerüche aus jeder Ecke Chinas begrüßten sie in der Straße der Tausend Geschmäcker.
    Fisch bog in eine Gasse, die derart eng war und durch ausladende Balkone zusätzlich abgedunkelt wurde, dass mitten am Tag Laternen brannten, und deren Verkaufsstände so nahe beieinanderstanden, dass sich die Besitzer über den schattigen Durchgang hinweg die Hände hätten schütteln können. Die Luft war erfüllt vom Duft von Räucherstäbchen, deren Rauch sich über den Ständen zu einer Dunstwolke sammelte. »Das ist die Joss-Straße, wo die Geister mit den Lebenden in allen vergangenen und künftigen Angelegenheiten verhandeln.«
    Fisch bedeutete Li, sich dicht hinter ihr zu halten. Dann stiegen sie eine kurze Steintreppe hinab und betraten einen spärlich beleuchteten Schrein, dessen luftloser Raum gerade groß genug war, um darin einen bescheidenen Altar unterzubringen.
    Darauf stand ein steinernes Abbild des Weißen Affen - des Großen Weisen; daneben ein mit vielen altehrwürdigen Talismanen gekennzeichneter Bambusbehälter. Eine Räucherspirale, so groß
wie ein Wagenrad, hing darüber, zu deren beiden Seiten Kerzen brannten. Zu seinen Füßen, gehüllt in ein staubiges Gewand von dunkelstem Purpurrot, saß der älteste Mensch, dem Li je begegnet war. Es ließ sich unmöglich sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.
    Lis erster Gedanke war, dass die zerknitterte Gestalt tot war, bis diese den Kopf hob. Fisch verbeugte sich, ging dann vor ihr in die Hocke und wartete, bis Li es ihr nachgetan hatte. »Seid mir gegrüßt, Lo-Yeh, ich habe eine Freundin mitgebracht, die Euren Segen erbitten und mit den Sternen sprechen möchte.« Eine lange, dünne Hand erschien aus den unzähligen Falten des Gewandes, deren Fingernägel so lang und gebogen waren wie die Klauen einer Katze. Sie wirkte fleischlos, dünn und durchsichtig wie Reispapier und schloss sich um die Kupfermünzen, die Fisch in die ausgestreckte Handfläche fallen ließ.
    »Das ist Lu-Ssi, der einst ein berühmter taoistischer Meister war und nun der älteste aller Priester ist«, flüsterte der Fisch ehrfurchtsvoll. »Er ist ein Unsterblicher - manche sagen, er sei hundertsechzig Jahre alt, andere meinen, Unsinn, er sei lediglich hunderteinundvierzig. Er kann nichts mehr sehen oder hören und spricht oder rührt sich nur noch selten von diesem Fleck, wo er zwischen den Sternen meditiert. Man glaubt, er könne seinen irdischen Leib nach Belieben verlassen und wieder dorthin zurückkehren. Seine Weisheit ist so groß wie die von niemandem sonst.«
    Die welke Hand erschien erneut, diesmal in Lis Richtung.
    »Hab keine Angst. Gib ihm deine Hand. Er muss in Kontakt mit deiner Seele treten.«
    Die Klaue umschloss Lis ausgestreckten Finger, Lu-Ssis Griff war überraschend warm. In der Mitte seiner Handfläche pochte ein ferner Puls. Seine Finger schlossen sich fest um ihre, beraubten sie des Willens, sie zurückzuziehen. Durch seinen Griff erzeugte Hitze brannte sich ihren Weg in das Innerste ihres Wesens, und ihr Chi floss ab wie Blut aus einer Wunde. Seine sichtlosen Augen sagten ihr überhaupt nichts. Sekunden vergingen, und ihre Hand wurde
freigelassen. Ihre Energie war erneuert, wie ein Schwall Wasser eine leere Kürbisflasche füllt.
    Der Priester entrollte eine mit mystischen Symbolen versehene Matte, griff nach dem Bambusbehälter, schüttelte ihn mit unerwarteter Kraft und streute dann Aprikosenholzstückchen auf die Matte vor sich aus. Sie verstreuten sich zu einem bedeutungslosen Puzzle. In jedes dieser dünnen Holzstückchen waren winzige kalligraphische Schriftzeichen eingebrannt. Von irgendwo oben flatterte ein kleiner Vogel herab und ließ sich auf dem Splitterhaufen nieder, scharrte sie beiseite, pickte erst an einem, dann an einem anderen, hüpfte geschäftig herum. In Lis Augen war es nichts weiter als ein gewöhnlicher Spatz, der im Schmutz des Straßenrandes nach Krumen pickte.
    »Das ist Lu-Ssu, der himmlische Regenvogel, von dem es heißt, er würde dem Großen Weißen Weisen die Augen ersetzen.«
    Fisch war noch nicht verstummt, als der Vogel Li auf die Schulter flog. Sie erstarrte, fühlte die winzigen goldenen Knopfaugen so intensiv auf sich gerichtet, dass sie sich nicht zu rühren traute. Ohne Vorwarnung stürzte er wieder auf die Matte, suchte sich einen einzigen Splitter aus und ließ ihn in den Schoß des Priesters fallen, ehe er wieder davonflatterte und zwischen den

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