Die Tochter der Konkubine
dünner Bücher, die sorgfältig besprochen und ausgesucht worden waren, wie auch einem Tuschestein, einer Auswahl an Pinseln und einem dicken Bündel feinen weißen Papiers.
Ben machte sich schon seit einiger Zeit Gedanken über das Mädchen von Zehn Weiden. Ihre Rettung hatte er nie bedauert, doch nun musste er sich gezwungenermaßen Gedanken über ihre Zukunft mit all ihren Unwägbarkeiten machen. Die Tatsache, dass sie sein rechtmäßiger Besitz war und er daher die Verantwortung für sie trug, machte ihm allmählich Sorgen. Indie hatte recht gehabt. Er hatte einem Impuls nachgegeben.
Keiner seiner Bediensteten war Leibeigener. Er hatte entdeckt, dass gerechte Behandlung, gebührender Respekt und anständige Bezahlung bei weitem mehr Loyalität und zuverlässigen Service bewirkten als eine Besitzurkunde - was der sung-tip , den er unterschrieben
hatte, im Grunde war. Es war mehr eine persönliche Verantwortung als ein rechtlich bindender Vertrag, eine Verkaufsurkunde, eine Quittung für Waren, gekauft und geliefert mit etwa derselben Bedeutung wie der Kauf einer Flasche guten Brandys.
Es gab viele Dinge, die Ben an China und den Chinesen bewunderte, doch wie sie die vom Schicksal Benachteiligten behandelten, fiel nicht darunter. Ständig erstaunt über die Arbeitsleistung und das Erfolgsstreben dieses Volkes, war er entsetzt über die Brutalität und blinde Ungerechtigkeit, die manchmal bei den einfachsten Begegnungen unvermittelt aufblitzte. Gewalt, derart unbeschreiblich und doch so leicht provoziert, wenn es darum ging, das Gesicht zu wahren, dass er es inzwischen tunlichst vermied, sich in Handelsdingen in mehr als das Nötigste verwickeln zu lassen. Das hatte ihn durch gefährliche Zeiten gelotst und ihn zu einem der reichsten Ausländer in Macao gemacht. Wenn er sich dabei nicht nur einen beneidenswerten Ruf und viele chinesische Freunde, sondern auch ein paar Todfeinde eingehandelt hatte, so gehörte dies unvermeidlich zu dem von ihm gewählten Leben.
Li gehörte inzwischen fast ein Jahr zu seinem Haushalt. Selbst in der wenigen Zeit, die er im Sky House verbrachte, konnte er sie unmöglich ignorieren. Wie rasch ihr verwüstetes Haar nachgewachsen war … wie bereitwillig sie auf das schlichteste freundliche Wort reagierte. Immer verbeugte sie sich vor ihm, allerdings ohne dass in der Geste etwas Unterwürfiges steckte. Sie konnte seinem Blick begegnen, ohne fortzusehen. Und obwohl der kantonesische Dialekt in seinen Ohren oft schrill und durchdringend klang, fand er ihre Stimme beinahe melodisch. Diese Dinge bezauberten ihn, doch vor allem fühlte er sich zu ihrem Verstand hingezogen, der von innen heraus strahlte.
Fisch hatte ihm regelmäßig Bericht über Lis Fortschritte erstattet - wie sie jeden Centavo ihres Silberdollars für Bücher und Pinsel, Tusche und Papier ausgab; wie sie es auf dem Markt mit jedem Tanka-Fischweib oder Hakka-Verkäufer aufnehmen konnte. »Du sagst ihr etwas, sie erinnert sich. Du sagst ihr etwas nicht, und sie
fragt dich, warum. Ihr Verstand ist bereits der einer Gelehrten und ihr Herz das einer Frau. Sie spricht nur Wahres aus, und man kann ihr in allen Angelegenheiten vertrauen.« Fisch hatte ihre Hände gefaltet und das Kinn vorgestreckt, eine Geste, das wusste Ben, die die Sache besiegelte. »Die da ist keine mooi-jai !«
Li war gewachsen und hatte zugenommen, sie strotzte vor Gesundheit, und ihr Gesicht besaß eine natürliche Anziehungskraft, die ihm attraktiver als die jedes weiblichen Gesichts vorkam, an das er sich erinnern konnte. Auch kam er nicht umhin, die Energie und die Anmut der Bewegungen unter dem quadratisch geschnittenen sam-foo zu bemerken.
Eines Morgens, so früh, dass das Licht noch kaum den noch immer mit schwerem Tau geschmückten Garten berührt hatte, entdeckte er sie in ein Buch vertieft auf ihrem Balkon. Ein kleiner Stapel anderer Bücher stand bei ihrem Ellbogen. Papier lag bereit, dazu Tusche und Pinsel. Mehr als nur Neugierde trieb ihn näher.
»Diese Bücher«, fragte er mit beiläufigem Interesse, in der Hoffnung, sie nicht zu erschrecken, »woher hast du die?« Unwillkürlich sprang sie auf und verbeugte sich. Er ergriff aufs Geratewohl eines und betrachtete den Einband. »Die Geschichte von Segel und Ruderschlag in China« , las er laut. Sie hätte Kotaus gemacht, wenn er sie nicht scharf angewiesen hätte aufzustehen. »Gelehrte, deren Leben Ziel und Bedeutung hat, müssen sich nicht verbeugen … vor solchen Personen verbeugen
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