Die Tochter der Konkubine
Lebensweisheiten entdecken können.
Mit dem Näherrücken des Jahreswechsels ging ihm auf, dass mit dem Mädchen, das er mehr tot als lebendig aus dem Fluss gefischt hatte und das nun mit seinem Charme sein wohlgeordnetes Leben schmückte, etwas geschehen musste. Sie war zu jung und viel zu verletzlich, als dass man sie hätte auszahlen und dann sich selbst überlassen können. Nicht, dass er auch nur eine Sekunde daran zweifelte, dass sie für sich selbst sorgen konnte, wenn sie es müsste. Doch ganz gleich, welche Arrangements er mit Hilfe seiner vertrauenswürdigeren Kontakte traf, so blieb doch die Tatsache, dass sie ständig in Gefahr schweben würde.
Einen wilden Augenblick lang erwog er, sie nach England auf eine Schule zu schicken oder sie gar zu adoptieren, doch verstieße dies, wie er sich eingestand, gegen seine eigenen Interessen.
Li war entzückt über die neuen Aufgaben, die ihr erlaubten, einen Großteil ihrer Zeit in dem großen Raum zu verbringen, in dem Ben manchmal arbeitete. Er verließ das Haus früh und kehrte spät zurück, doch durch die Dinge in dem Raum, den er sein Arbeitszimmer nannte, lernte sie ihn besser kennen: das Regal, das seine Sammlung an Pfeifen beherbergte, jede aus einem anderen Holz oder Ton, die sie mustergültig reinigte und mit einem gelben Tuch zu einem tiefen Bernsteingelb, Rotbraun und Rosenrot polierte. Die Kristallaschenbecher; die kleinen, reich verzierten Schnupftabakfläschchen. Sie wurde nicht müde, die Fotografien anzusehen, die den Bau und Stapellauf seiner Schiffe zeigten. Doch die größten Schätze waren für Li die Reihen von Büchern - ihre Einbände hatten die Farbe alten Weins, das Dunkelgrün von Bergkiefern, die Brauntöne der Erde und alle Blautöne des Meeres - die sich vom polierten Zedernholzboden bis zum an die Decke gemalten Himmel erstreckten, erreichbar mittels einer Leiter, die auf Fingerdruck hin und her glitt.
Sogar noch eindrucksvoller war sein Schreibtisch aus tibetanischem Föhrenholz, hinter dem der riesige Stuhl eines Taipans stand. Beide waren mit geschnitzten Drachen verziert, die von verschnörkelten Wellenkämmen umgeben waren. Auf diesem Stuhl
und an diesem Tisch erlaubte Li es sich, von gestohlenen Augenblicken zu träumen. Die Schiffe auf den Flüssen Chinas und die Schiffe auf dem Meer faszinierten sie, eine Welt, die keine Grenzen kannte, immer auf der Suche nach neuen Horizonten.
Sein Schlafzimmer nebenan war größer als das Arbeitszimmer. Sein großes Himmelbett, so hatte Fisch ihr zugeflüstert, war - wie die riesigen Kiele seiner Schiffe - aus dem Herzen einer englischen Eiche gefertigt. Ein Sofa und Sessel aus Leder glänzten wie poliertes Kupfer auf einem reich gemusterten Taipanteppich vor einem weiteren Kamin mit einem Kamingitter aus schimmerndem Messing. Ein grob gezimmerter Tisch und Stühle standen auf dem separaten Balkon, der von dem überhängenden Geäst eines Spanischen Flieders geschützt wurde.
Das Arbeitszimmer öffnete sich zu einem englischen Garten, der durch Hecken aus Buchsbaum und Liguster begrenzt war. Es war Bens Privatgarten, in den er sonst nur noch den Gärtner Ah-Kin ließ. Fisch zufolge sprach er hier mit seinen Göttern und schloss Frieden mit sich selbst.
Einen Bereich des Anwesens durfte Li nicht betreten: die Garagen. »Das brauchst du nicht zu sehen«, beharrte Fisch. »Das Räderwerk des Teufels selbst residiert hinter diesen Mauern.« Das Automobil ließ Fisch unbeeindruckt. Sie konnte nicht verstehen, wieso Rikscha, Sänfte oder Pferdekarren durch ein höllisches neumodisches Vehikel ersetzt werden sollten, das Ohren und Nase strapazierte und die Knochen des einfachen Volkes unter seinen Rädern zu zermahlen drohte. Li tat, als würde sie ihr zustimmen, war jedoch insgeheim von dem riesigen, nachtblauen Wagen fasziniert, der sie in solcher Pracht und Bequemlichkeit vom Devereaux-Dock abgeholt hatte.
Eines Tages ging Li am Pförtnerhaus vorbei in den Bereich, wo die lange Garagenfront offenstand. Dort vor ihr stand der Rolls-Royce Silver Phantom, auf dessen Nummernschild die Buchstaben DD standen, dazu drei andere Automobile ähnlicher Größe, die mit weißen Tüchern bedeckt waren. Daneben sah sie - völlig anders -
einen viel kleineren Wagen im allertiefsten Grünton - auf Hochglanz poliert, dessen Drum und Dran und Speichenräder wie Silber glänzten und dessen gelbe Ledersitze zum Himmel hin freilagen.
»Das ist ein Lagonda. Di-Fo-Lo besitzt in Macao den einzigen. Die
Weitere Kostenlose Bücher