Die Tochter der Konkubine
jedes Mal, wenn es so weit war, musste es zehn Tage dauern, wobei die Bediensteten den Großteil des Monats weg waren? Diesmal bewog ihn etwas zu bleiben. Unsicher, ob es sein Gewissen oder etwas anderes war, konnte er sich nicht dazu bringen, das Mädchen von Zehn Weiden zu dieser Zeit der geteilten Festlichkeiten zwischen Freunden und Familie in der Leere von Sky House allein zu lassen.
Ah-Ho hatte es immer für selbstverständlich gehalten, dass er - wie alle Ausländer - kein Interesse an solchen Ritualen hatte, und das Haus daher nie dekoriert oder darin etwas von dem Brauchtum gepflegt, das die Aufmerksamkeit der Bevölkerung so in Anspruch nahm. Dieses Jahr entdeckte er zu seiner Überraschung, dass sein Arbeitszimmer mit allem Drum und Dran für das große Ereignis geschmückt war. In mehreren Vasen, die an die Fenster gestellt waren, steckten große Äste mit Pflaumen - und Pfirsichblüten, an denen rote Zettel hingen, auf die in Gold die Schriftzeichen für Gesundheit, Reichtum und langes Leben zu lesen standen. Auf jedem Fensterbrett und den ganzen Balkon entlang standen ordentlich aufgereiht Töpfe mit Narzissen, deren kleine weiße und gelbe Blüten die Luft mit ihrem Duft schwängerten.
»Hoffentlich fallen die Pfirsichblüten nicht so schnell ab. Ich werde sie in der Früh entfernen.«
Li betrat das Zimmer mit der Miniaturausgabe eines Kumquatbaums in einem glasierten Blumentopf. Er war perfekt geformt, mit kleinen goldenen Früchten in der Größe von Dollarmünzen, die seine wohlgestutzten Zweige über und über bedeckten. Er stand auf einem Bambustablett und war eindeutig schwer.
»Bei uns ist es Brauch, Bäume wie diesen denjenigen unter unseren
Freunden zu geben, die wir am meisten lieben und respektieren. Meine Familie ist für mich verloren, und die Liebe ist mir ein Rätsel … aber niemand hätte mir mehr geben können als Ihr kühnes Herz und Ihre großzügige Hand.« Ehe er ihr das Tablett abnehmen konnte, stellte sie es auf den Balkontisch. »Wie das Aufgehen neuer Knospen lädt er mit seinen goldenen Früchten das Glück ein. Ich bringe ihn mit Dankbarkeit für all das dar, was Sie für mich getan haben. Er ist ein kleines, belangloses Geschenk und wertlos für einen Taipan, der die Welt in den Händen hält.«
Ben, der sich angesichts der traditionellen Bescheidenheit bei der Geschenkübergabe ein Lächeln verkneifen musste, war einen Augenblick sprachlos vor Überraschung. Damit sie nicht so schnell wieder ging, wie sie erschienen war, antwortete er eilig, wie es von ihm erwartet wurde: »Es ist ein höchst prächtiger Baum. Ich bin es, der eines solchen Geschenkes nicht würdig ist. Nun muss ich dir im Gegenzug auch etwas Goldenes geben. Will es der Brauch nicht so?«
Er nahm die goldene Uhr aus seiner Westentasche. An ihrer schweren Kette hingen mehrere goldene Sovereigns. Er löste einen davon ab und hielt ihn zwischen Daumen und Finger.
»Das ist einer der ersten, den ich mir im chinesischen Handel verdient habe. Er hat mir alles Glück gebracht, das ich je brauchen werde. Nun soll er für dich dasselbe tun.«
»Aber ich habe doch schon einen zusätzlichen mexikanischen Dollar für lai-see bekommen.« Sie hielt zwei Finger in die Höhe, und ihre Augen waren vor Erstaunen so weit aufgerissen, dass er lauthals lachen musste.
»Nun hast du eine englische Guinee. Sie ist zehn mexikanische Dollar wert. Was wirst du damit machen?«
Sie zögerte nur kurz. »Sobald ich die englischen Wörter lesen kann, werde ich mir viele Bücher wie diese hier kaufen.« Li wirbelte in der Bibliothek herum und streckte die Arme zu den mit Buchbänden gefüllten Regalen aus.
»Ich habe eine bessere Idee. Nimm es, um dir etwas Glänzendes und Schönes zu kaufen. Bücher sind oft alt und mitunter langweilig.
Sie sind mit den Gedanken anderer Menschen gefüllt, oft von welchen, die bereits bei ihren Ahnen weilen. Ich bin sicher, du hast deine eigenen Ideen und Gedanken, die jung und frisch sind wie deine knospenden Narzissen.« Als wolle er sich versichern, dass sie verstand, hielt er inne. »Nimm, was dich interessiert und was du wissen willst aus den Büchern, so viel nur geht, aber lass nicht zu, dass sie deine eigenen Worte und Gedanken ersetzen.«
»Ich werde daran denken«, antwortete sie nachdenklich. »Aber ich weiß so wenig von der Welt. Für mich gibt es nichts Wunderbareres als die Wörter und Bilder von Gelehrten und Künstlern.«
Ben konnte sich angesichts solch ernster Worte von
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