Die Tochter der Konkubine
umarmte ihre Schülerin kurz. »Ich bin durchaus imstande, allein die Tür zu finden.«
»Unsinn, ich bestehe darauf.« Ben nickte dem Oberkellner zu. »Wenn Sie so nett sein könnten, Ah-Geet zu bitten, den Wagen vorzufahren …«
Sobald Ben außer Hörweite war, fühlte ein Kellner sich veranlasst, Miss Brambles Glas zu entfernen und mit einer kleinen Bürste und einem Silbertablett gründlich auch den kleinsten Krümel vom Tisch zu fegen. »Wie viel zahlt Di-Fo-Lo seiner Hure? Ist der Pavianhintern seine Kupplerin? Mooi-jai -Nutten werden in diesem Hotel nicht bedient. Mooi-jai scheuern unsere Töpfe und Pfannen, sie schälen unser Gemüse und schrubben unsere Böden.« Der Kellner - schick gekleidet und makellos frisiert, in dessen Brille sich das Kerzenlicht widerspiegelte - wirkte wie das perfekte Aushängeschild für das berühmte Hotel. »Du bist doch wohl nicht so dumm zu glauben, dass wir nicht alles über dich wüssten?«, zischte er ihr durch zusammengebissene Zähne zu. »Ah-Geet trinkt seinen Tee in unserer Küche, er kennt seinen Platz. Hast du von ihm für deine Dienste nicht einen Silberdollar genommen - dieselben Dienste, die du Di-Fo-Lo erweist?«
In dem Bewusstsein, dass jeder Versuch, sich zu verteidigen oder zu beschweren, nur striktes Leugnen und Peinlichkeiten für Ben zur Folge hätte, wenn er sie verteidigte, ließ Li sämtliche Beleidigungen an sich abperlen. Sie und die junge Dame müssen sich irren, Sir … vielleicht ein Sprachproblem?, würde der Restaurantleiter bestimmt erwidern, so würdevoll und doppelzüngig wie Ah-Ho selbst. Schon oft hatte Li Küchengelächter belauscht: Wie einfach es doch sei, einen Barbaren zu verwirren; jedes chinesische Wort hatte ein Dutzend Bedeutungen, jede mit seiner eigenen Betonung, die sich so geringfügig unterschied, dass selbst ein versierter Sprachwissenschaftler feine Nuancen, die die Bedeutung eines Wortes in die eine oder andere Richtung zu drehen vermochten, falsch interpretieren konnte. »O nein, Herr«, hatte Ah-Ho eine ergebene Antwort nachgeahmt, »so etwas Schreckliches würde ich doch niemals sagen!«
Während sie betete, dass Ben zurückkehrte, murmelte der Kellner ihr weitere Boshaftigkeiten zu. Unvermittelt packte sie der Zorn, und sie sprang auf, um dem Gift Einhalt zu gebieten. Sie sprach sehr leise und in ruhigem Ton: »Sie können dem Idioten
Ah-Geet ausrichten, dem mit dem Glied eines sehr kleinen und stinkenden Ziegenbocks, dass ich mir all seine Lügen merke, und Ihre Beleidigungen ebenso. Sie haben bei einem bedeutenden Gast dieses Hotels einen großen Gesichtsverlust bewirkt.« Langsam schüttelte sie mit einem gespielt mitleidigen Gesichtsausdruck den Kopf. »Nachdem ich gesprochen habe, werden Sie hier nicht mehr arbeiten, denke ich.«
Kaum hatte sie es ausgesprochen, erschien Ben. »Stimmt etwas nicht?«, fragte er, überrascht, dass sie stand. »Doch, doch.« Ruhig nahm sie wieder Platz. »Der for-gia hat nur den Tisch abgebürstet.« Absichtlich benutzte sie den minderwertigsten Ausdruck für einen Ober, und dieser machte sich rasch davon.
Ben setzte sich und bot Li etwas Wein an. Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich habe schon so viel Neues genossen, dass ich mir den Wein lieber für ein andermal aufhebe.«
Ben, der ihre Nervosität spürte, wenn er auch nicht den Grund erahnte, langte mit einem beruhigenden Lächeln über den Tisch und nahm ihre ausgestreckten Finger in seine großen Hände. Bemüht, all die hasserfüllten Gedanken zu verbannen, erwiderte sie sein Lächeln und konzentrierte ihre gesamten Sinne nur auf ihn.
»Der Wein kann warten«, sagte er, nahm eine kleine Seidenbörse aus seiner Tasche und öffnete den schlichten Verschluss. Ein Diamantring fiel in seine Handfläche, dessen viereckig geschnittener Stein so groß und glänzend war, dass er auf der Tischdecke Lichtsplitter verstreute. Neben seinen riesigen Fingern wirkte er so lächerlich deplatziert, dass sie ihn am liebsten gebeten hätte, ihn rasch wegzustecken.
»Das ist ein gelber Diamant … so selten und bemerkenswert, wie du es für mich bist. Wenn du ihn annimmst, sind wir heute in drei Monaten miteinander verheiratet.«
Als fiele ihm auf, dass seine Worte zu direkt waren, drückte er ihr beruhigend die Hand, suchte ihren Blick und senkte angesichts ihrer verwirrten Miene teilnahmsvoll die Stimme. »Bitte, Li … ich weiß, das mag jetzt etwas unvermittelt erscheinen, und vielleicht
bin ich unbeholfen, aber ich spiele schon
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