Die Tochter der Konkubine
seit vielen Monaten mit diesem Gedanken und habe sorgfältig darüber nachgedacht, nachdem ich von Miss Bramble freundlichen Rat und ihren Segen erhalten hatte.«
Er hielt inne, um sich von einer aufbrechenden Gruppe zu verabschieden, und fuhr dann fort. »Ich baue gerade ein Haus in Hongkong … eine Villa. Als ich den Grundstein gelegt habe, geschah das, weil es einen Traum beherbergen sollte, eine Fantasie, die ich in dem Bewusstsein heraufbeschwor, dass mein Leben unvollständig war. Ich hoffte, es eines Tages mit jemandem teilen zu können, den ich liebe, und dort eine Familie zu gründen. Ich habe ihm nach dem, was ich für den schönsten Ort auf Erden halte, den Namen Villa Formosa gegeben.
Dort sollen meine Kinder das Beste beider Welten lernen, die Wunder von Mutter China und ihre Verbindung mit meinem schönen England - dem kaiserlichen Drachen des Königreichs der Mitte und dem himmlischen Drachen St. Georgs. Beide sind legendär und können einander viel lehren.«
Angesichts seiner zunehmenden Begeisterung grinste Ben wie ein Junge, der ein Mädchen zu beeindrucken versucht - und begriff, dass er - so absurd es auch scheinen mochte - genau dies gerade tat. »Ich habe zu viel gesagt, und das Ganze kommt zu plötzlich, und natürlich hat es keine Eile …«
Li war sich der höhnischen Blicke, die in die elegante Intimität eindrangen, die er hatte schaffen wollen, nur allzu sehr bewusst. Seine Worte schienen ihr so unwirklich wie ihre Umgebung, die sie auf einmal unerträglich fand.
»Die Angelegenheit ist zu bedeutend, als dass man voreilig darauf antworten sollte. Darf ich darum bitten, dass wir gehen? Zu viele Augen sind auf uns gerichtet, und zu viele Ohren würden unsere Privatheit stören. Ich möchte, dass nur Sie meine Antwort hören.«
Sein Blick war besorgt, unsicher darüber, was sie ihm zu verstehen geben wollte, als sie seine Hand über den strahlenden Stein schloss und ihn damit sanft drängte, den Ring zu verbergen. Sie
wartete, während dieser in seinen Seidenbeutel zurückgesteckt und ohne ein weiteres Wort in der Tasche verstaut wurde. Kurz bedeckte sie mit beiden Hände seine. »Ich fühle mich zutiefst geehrt, aber auch überwältigt. Darf ich heute Nacht in Ruhe darüber nachdenken? Es gibt so viele Dinge zu bedenken, die sogar noch größer sind als die Frage unserer Herzen.«
Er nickte ernst. »Verstehe«, meinte er, wenngleich sie wusste, dass er es nicht tat.
Li fiel es schwer zu schlafen. Sie hatte sich in die ruhelosen Schatten des Gartens gesetzt und den Lauf des Mondes in einem Sternenmeer verfolgt. Kurz vor Morgengrauen war sie in ihr Zimmer zurückgekehrt und hatte sich hingelegt. Beim ersten Licht erschien Fisch mit einem Teetablett und einem Briefchen unter einer einzigen Gardenie in einer kleinen Kristallvase:
Trage diese bitte, wenn wir uns heute Abend um sieben an der Straßenbiegung hinter dem Haupttor treffen. Am besten kleidest Du Dich wie eine Angehörige des Schiffsvolks, ich empfehle barfuß. Fisch wird Dich beraten. Niemand sonst muss davon erfahren.
Was konnte das bedeuten? Li wusste, dass ihre Reaktion auf seinen Antrag ihn verwirrt hatte. Hatte sie ihn auch verärgert - hatte sie ihn unter Umständen beleidigt? Dieser letzte Gedanke bereitete ihr fast körperliche Schmerzen. Wieso wollte er, dass sie alte Sachen trug, und wieso sollte sie barfuß kommen? Hatte er vor, sie fortzuschicken?
Fisch wollte davon nichts hören und lächelte nur geheimnisvoll, während sie aus ihrer Kampferholztruhe eine ordentlich gefaltete frische Tanka-Tracht hevorholte: den schwarzen Kittel, dessen Schultern und Rock mit kleinen Mustern aus Perlmutt - und Korallenperlen versehen waren; den breiten, glockenförmigen Weidenhut, den das Schiffsvolk zum Beschatten des Gesichts trug. Li
hatte schon so manche Frau eines Dschunkenkapitäns gesehen, die zu besonderen Anlässen derart gekleidet gewesen war, und diesen Anblick immer schön gefunden. »Wenn wir dich wie eine Tanka anziehen, dann wie eine stolze Tanka. Ich habe diese Sachen seit langer Zeit aufbewahrt.« Fisch seufzte. »Du siehst aus, wie ich als junges Mädchen ausgesehen habe.«
Um Punkt sieben Uhr stand Li an der Straßenbiegung. Ben erschien bequem in einer Rikscha sitzend, angetan mit einem groben Hemd und abgeschnittenen Pluderhosen, die großen Füße nackt. Er sah aus, als verdiente er seinen Lebensunterhalt durch Arbeit im Schlickwatt. Als sich sein Gesicht bei ihrem Anblick erhellte, spürte Li
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