Die Tochter der Seidenweberin
hatte sich so vieles gemerkt in dem Jahr, das sie ihm nun schon in der Färberwerkstatt half. Sie hatte gelernt, aus ausgefaultem Urin Beize zu bereiten, aus Pflanzenteilen wie Färbeginster oder Waid Farbsud zu kochen sowie die gefärbten Tuche zu spülen, zu wringen und zum Trocknen aufzuhängen. Sie hatte erfahren, dass die unreifen, grünen Schalen der Walnuss die Seide in einem intensiven Braun färbten, die getrockneten Schalen dagegen weniger Farbkraft besaßen. Und dass in Walnussschalen generell so viel Gerbstoffe enthalten waren, dass die Seide vorab keine Beize benötigte.
Aber wozu war das alles nütze, dachte sie traurig. Wenn sie doch nie einen Färber heiratete? In ihrer Kehle setzte sich ein Kloß fest, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Hastig wandte sie sich ab, um das Seidentuch zu holen, das es zu färben galt. Quettinck sollte nicht sehen, welche Gefühle seine Worte in ihr ausgelöst hatten.
Das blassweiße, noch feuchte Seidentuch war über Nacht gebeizt worden und verströmte einen scharfen Geruch, als Sophie es in den Bottich wuchtete. Sie schluckte, griff nach dem Stecken und trat so nah an den Stochofen heran, wie es ihr möglich war, ohne sich zu verbrennen. Nun galt es, das Tuch zu zwernen, das heißt, es in Bewegung zu halten, hatte Sophie gelernt, damit sich die Farbe gleichmäßig darauf verteilen konnte und sich nicht etwa in den Falten festsetzte und dort dunklere Flecken verursachte.
Es war eine eintönige Arbeit, die jedoch von Minute zu Minute schwerer erschien, sobald Sophies Arme ermüdeten. Zu Beginn ihrer Arbeit in der Färberwerkstatt hatte sie es nicht lange vermocht, die Seide mit dem Stecken im Bad hin und her zu bewegen. Doch inzwischen hatte sie vom vielen Wasserschleppen, Rühren, Spülen und Wringen an Armen und Schultern kräftige Muskeln bekommen.
Auf den Tag genau war ein Jahr vergangen seit jenem Martinsabend, an dem sie ins Haus Zur Roten Tür zurückgekehrt war. Sie hatte sich um den Haushalt gekümmert, wie sie es Lisbeth versprochen hatte, und auch wenn sie die Hausarbeit nach wie vor verabscheute, so hatte sie ihrer Tante nicht ein Mal Anlass gegeben, ihr das Färben zu untersagen.
Sophie seufzte. Ein Jahr – das war eine lange Zeit, doch sie war wie im Flug vergangen. Und Godert war nicht zurückgekehrt!
Sophie hatte so sehr gehofft, dass er in diesem Jahr zu Weihnachten heimkehren würde. Aber selbst wenn er es täte, so wäre auch das jetzt um ein paar Wochen zu spät. Denn bereits für heute Abend zum Martinsessen hatte ihr Vater den Mann geladen, mit dem er sie zu vermählen gedachte. Einen Adligen, ganz wie Andreas Imhoff es sich für seine Tochter erträumt hatte. Er käme in Begleitung seiner Eltern, um seine Braut in Augenschein zu nehmen.
Weiter hatte Sophie ihrer Mutter nicht zugehört, als diese ihr am vergangenen Sonntag davon berichtet hatte, sondern war voller Zorn aus dem Raum gelaufen. Sie wollte gar nicht wissen, wer ihr Bräutigam war und wie er hieß. Es war ihr gleich, denn wer auch immer er war, er war nicht Godert! Sicherlich war er alt und abstoßend. Und wahrscheinlich nicht einmal vermögend. Warum sollte er sonst eine Bürgerliche ehelichen wollen, wenn nicht um einer großen Mitgift willen?
»Aber Hauptsache, er ist adlig!«, schnaubte Sophie halblaut und stieß wütend mit dem Stecken in dem Bottich umher.
Obschon – wenn er in Begleitung seiner Eltern kam, konnte er so alt nicht sein. Angewidert verzog Sophie das Gesicht. Sie konnte sich richtig vorstellen, wie ihre künftige Schwiegermutter sie mit stechendem Blick von oben bis unten betrachten, säuerlich das Gesicht verziehen und an ihr herummäkeln würde. Zu muskulös, zu vorlaut, der Teint nicht hell genug … Ob sie ihr auch ins Maul schauen würde, um ihre Zähne zu begutachten wie bei einem Gaul, der zu Pfingsten zu Markte geführt wurde?
Sophie angelte mit dem Stecken nach einer Kante des Tuches und hob sie ein Stück weit aus dem Bottich. Die weiße Seide hatte bereits eine grüne Färbung bekommen, die jedoch noch recht hell war.
Vorsichtig ließ Sophie den Stoff in das heiße Farbbad zurückgleiten. Es bereitete ihr jedes Mal große Freude, zu sehen, wie das Seidentuch langsam die Farbe des Bades annahm. Doch wie schön musste die Arbeit erst sein, wenn sie sie mit Godert zusammen verrichtete? Wenn er doch nur zurückgekehrt wäre!
Es dauerte lange, das Färberhandwerk richtig zu erlernen, das hatte Sophie inzwischen verstanden. Denn obwohl sie in
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