Die Tochter der Seidenweberin
dem Jahr viel gelernt hatte, war sie noch meilenweit davon entfernt, selbst Farben anmischen und entscheiden zu können, wie lange die Seide in ihrem Bad zu kochen hatte. Denn das hing nicht nur von der Art des Farbstoffes und seiner Menge ab, sondern überdies auch noch von der Qualität der Seide und davon, wie dick das Gewebe war.
Drei bis sechs Jahre dauerte die Lehrzeit, je nachdem, wie gelehrig der Bursche war und wie viel zu wissen ihm genügte. Ein reger Färbergeselle verbrachte danach einige Jahre auf Wanderschaft, um von verschiedenen Meistern deren Rezepturen und Finessen zu erlernen. Leider waren die angesehensten Meister seit alters her in Flamen ansässig.
Godert war nun schon seit über anderthalb Jahren fort, doch wie Sophie ihn kannte, würde er nicht eher zurückkehren, als bis er alles, wirklich alles erfahren hatte, was es über das Seidfärben zu wissen gab.
Für einen Moment ließ Sophie den Stecken fahren und wischte sich die vom Dampf feuchten Hände an der Schürze trocken, bevor sie fortfuhr zu zwernen. Ihre Gedanken bewegten sich so unstet im Kreis wie das Tuch in dem Kessel vor ihr. Was hätte es geändert, wenn Godert zurückgekehrt wäre, fragte sie sich. Nie hätte ihr Vater zugelassen, dass sie einen Färbergesellen heiratete. Doch sie hätten heimlich heiraten können. Und fortgehen aus Köln, in eine andere Stadt. Ein tüchtiger Seidfärber fand überall Anstellung. Und irgendwann hätten sie sich vielleicht eine eigene Werkstatt leisten können.
Sophie war so in ihre Tagträume verstrickt, dass sie nicht bemerkt hatte, wie Meister Quettinck zu ihr getreten war. Er nahm ihr den Stecken aus der Hand, und wie zuvor Sophie fischte nun er ein Ende des Tuches aus dem Bottich. Es hatte ein wunderbar leuchtendes Grün angenommen, und wieder versetzte es Sophie in Erstaunen, wie genau der Färber es im Gefühl hatte, wann die Seide lange genug im Bad gekocht hatte.
Quettinck rief einen der älteren Lehrburschen zu Hilfe, und gemeinsam hievten sie mit langen Stecken den heißen Stoff aus dem Bad. Einen Moment ließen sie ihn erkalten, dann packten Sophie und der Lehrbursche das Tuch und wrangen es, jeder einen Zipfel fassend, sorgfältig über dem Kessel aus. Anschließend spülte Sophie das Tuch in einem Bottich mit klarem Wasser, um die Farbrückstände zu entfernen. Dreimal musste sie das Wasser wechseln, und als sie schließlich das Tuch zum letzten Mal ausgewrungen hatte, waren ihre Hände so kalt geworden, dass sie kaum noch ein Gefühl darin spürte.
Sophie legte den Stoff in einen geflochtenen Korb, querte damit den Hof und stieg, unter ihrer Last keuchend, die steile Treppe zum Speicher des Hauses hinauf. Oben angekommen, schöpfte sie tief Luft, bevor sie sich daranmachte, die lange Seidenbahn auszubreiten und zum Trocknen über die Leinen zu hängen, die quer durch den Raum gespannt waren.
Die Farbe war sehr schön geraten, das war bereits jetzt zu erkennen, obwohl sich der strahlende Glanz der Seide erst zeigen würde, wenn sie vollständig getrocknet und geplättet wäre. Doch anders als sonst empfand Sophie heute keine Freude daran.
Dies war das letzte Tuch, das sie gefärbt hatte, dachte sie traurig, und wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. Das allerletzte. Wenn man heute Abend ihre Verlobung bekanntgab, würde sie sofort in die Wolkenburg zurückkehren müssen, um die Hochzeit und vor allem ihre Aussteuer vorzubereiten, darauf würde Vater bestehen.
Bedrückt schlich Sophie die Stiege hinab. Im Gehen band sie sich die Schürze ab, um sie in der Werkstatt an den Haken neben der Tür zu hängen. Die Tränen verschleierten ihr den Blick, als sie sich ein letztes Mal in der Werkstatt umsah.
Was würde Godert sagen, wenn er zurückkehrte und fand sie verheiratet mit einem anderen, fragte sie sich wohl zum hundertsten Mal. Wäre er so traurig wie sie? Liebte er sie denn überhaupt noch? Vielleicht hatte er sie längst vergessen und hatte in der Fremde ein anderes Mädchen geehelicht? Die Tochter eines Färbers gar?
Sie aber liebte ihn! Sie würde keinen anderen heiraten, niemals! Mit einer heftigen Bewegung riss Sophie sich das Tuch, das ihr Haar vor den Farbstoffen schützte, vom Kopf und warf es beiseite.
Sie durchmaß den Raum mit wenigen Schritten und eilte zum Stochofen. Das Feuer darin war erloschen, die Farbe im Kessel deutlich abgekühlt. Tief holte sie Luft, dann tauchte sie ihren Kopf in den Farbbottich.
Als Sophie am Abend aus ihrer Kammer trat, um
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