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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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sein Bruder sein, daher war er ihr bekannt vorgekommen, doch dass die von Elverfeldts von adligem Geblüt waren, hatte sie nicht gewusst. Nie hätte Lisbeth damit gerechnet, dass ihr Schwager einen Färbergesellen als Eidam akzeptieren würde. Doch wenn es ein adliger Färber war, lag die Sache natürlich ganz anders, dachte sie spöttisch.
    Aber wieso benahm Sophie sich so seltsam? Immer noch hielt ihre Nichte den Kopf gesenkt, als getraute sie sich nicht, ihren künftigen Gemahl anzublicken. Wieso versuchte sie, sich hinter ihr zu verstecken, und trat unruhig von einem Fuß auf den andern, als warte sie nur auf eine passende Gelegenheit zur Flucht?
    Sophie hätte außer sich sein müssen vor Freude. Goderts Frau zu werden, das war es doch, was sie sich seit Jahren ersehnte. Lisbeth hätte vielmehr erwartet, dass sie, ihrem ungestümen Naturell folgend, Godert um den Hals fallen oder ihre Freude in anderer, unziemlicher Weise äußern würde.
    Oder verhielt es sich ganz anders, und Sophie nahm sich bewusst zurück und versuchte, einen guten Eindruck auf Goderts Eltern zu machen und Zurückhaltung vorzutäuschen? Wenn es so war, spielte sie ihre Rolle sehr gut, das musste Lisbeth ihr lassen.
    »Meine Tochter Sophie. Sie ist die Zweitälteste und hat im vergangenen Jahr bei meinem Schwager das Hauswesen erlernt«, stellte Andreas Sophie nicht ohne Stolz vor.
    Lisbeth schob das sich sträubende Mädchen nach vorn, so dass Sophie nichts übrigblieb, als höflich zu knicksen.
    »Mein liebes Kind!«, rief Mutter Elverfeldt aus und klatschte in die Hände. »Warum denn so schüchtern? Nimm den Schleier ab, Kind! Man sieht ja nichts von deiner Schönheit!« Sie ließ ein wieherndes Lachen hören, und Lisbeth bemerkte, wie ihr Schwager zusammenzuckte. Von einer adligen Dame hatte er ein anderes Verhalten erwartet.
    Sophie wich einen Schritt vor Frau von Elverfeldt zurück, doch ihr Vater befahl streng: »Nun zier dich nicht, Sophie! Nimm den Schleier ab.« An seine Gäste gewandt, erklärte er salbungsvoll: »Sie braucht sich sicher nicht zu verstecken!«
    Mit unendlicher Langsamkeit hob Sophie ihre Hand an den Saum des feinen Gespinstes. Ihrem Vater schien das zu lange zu dauern. Er fasste den Schleier und schlug ihn energisch über Sophies Kopf zurück.
    Frau von Elverfeldt stieß einen spitzen Schrei aus.
    Irritiert blickte Andreas Imhoff seine Tochter an, und sogleich stieg ihm die Zornesröte ins Gesicht. Sophies Gesicht war vom Hals bis hin zum Ansatz ihrer Haare von einem dunklen, kräftigen Grün. Gespenstisch leuchtend stach das Weiß ihrer Augen daraus hervor und ließ ihr Antlitz an die grausige Fratze eines Höllenwesens gemahnen, das soeben einem jener abschreckenden Bildnisse des Fegefeuers entstiegen war.
    Agnes erbleichte, und Andreas rang entsetzt nach Luft. Da hatte er endlich einen passenden Heiratskandidaten für seine Tochter gefunden, und nun das! Anstatt ihm dankbar zu sein und sich von ihrer besten Seite zu zeigen, blamierte Sophie ihn vor diesen edlen Leuten bis auf die Knochen. Aber er hatte ja befürchtet, dass Lisbeth nicht genügend auf sie achtgeben würde, und wollte Sophie von Anfang an nicht in die Obhut seiner leichtsinnigen Schwägerin geben!
    Ein heiseres Krächzen entrang sich Andreas’ Brust, doch sogleich fand er seine Stimme wieder. »Verschwinde! Geh sofort auf dein Zimmer!«, herrschte er seine Tochter an und vergaß dabei, dass Sophie keine eigene Kammer in der Wolkenburg besaß.
    Lisbeth überkam der völlig unangemessene Drang zu kichern, und sie presste die Lippen aufeinander. Doch dann erblickte sie die Bestürzung auf Goderts Zügen, und ihr verging das Lachen.
    Wie gestochen flog Sophie herum und rannte aus dem Saal. Ihre Eltern und die Gäste blieben in betretenem Schweigen zurück. Verlegen traten sie von einem Fuß auf den andern. Keiner wusste, wie er sich angesichts dieser Peinlichkeit verhalten sollte.
    Godert reagierte als Erster. Ohne Gruß verließ auch er den Saal. Seine Eltern blickten ihm nach, unschlüssig, ob sie seinem Beispiel folgen sollten.
    »Wie wäre es, wenn wir uns alle erst einmal einen Becher Würzwein genehmigen würden?« Mertyn suchte die angespannte Stimmung zu entschärfen. »Mein Schwager ist bekannt dafür, einige ausgezeichnete Tropfen in seinen Kellern zu verwahren.«
    »Das ist ein guter Vorschlag!«, stimmte Johann von Elverfeldt ohne Zögern zu.
    Agnes warf ihm einen dankbaren Blick zu und eilte, um Maren, die, nicht minder entsetzt als

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