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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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können und stand ihrer Schwiegermutter auch an Selbstgerechtigkeit und Arroganz in nichts nach. Bei ihrer Heirat mit Dres van der Sar, der einer der letzten gewählten Zunftmeister gewesen war, hatten Lisbeth und Clairgin hinter vorgehaltener Hand gelästert, Gertrud hätte Mechthild nach ihrem Ebenbild für ihren Sohn ausgesucht, doch Stephan hatte ihnen lachend widersprochen: »Da liegt ihr ganz falsch. Dres hat Mechthild ganz bewusst gewählt. Jetzt hat er sich schon einmal an eine Zange gewöhnt – warum soll er sich umgewöhnen, nur weil er heiratet?«
    »Bloß weil sie ärmer sind, müssen sie doch nicht faul sein«, widersprach Katharina Loubach ruhig. Katharina, eine ernste junge Frau mit länglichem Gesicht und flacher Stirn, war durch Heirat verwandt mit der Seidspinnerin Barbara Loubach und deren Tochter, Apolonia, die für Lisbeth arbeitete.
    »Na, wenn sie fleißiger wären, könnten sie sich genug Rohseide leisten und müssten nicht so einen Driss fertigen«, gab Mechthild triumphierend zurück und blickte beifallheischend in die Runde.
    Nun wandten sich auch die älteren Damen vom wärmenden Kamin ab und den jüngeren Frauen zu.
    »Faul oder nicht – dieser Parger ist eine Schande für die Zunft. Wir sind Seidmacherinnen und keine Leinweberinnen!« Frieda Medmans Kinn schaukelte sichtlich empört. Bei dem Wort »Leinweberinnen« legte sich ein angewiderter Zug um ihre fleischigen Lippen, der deutlich machte, wie sehr sie es für unter ihrer Würde erachtete, minderwertiges Material zu verarbeiten wie etwa Flachs oder Baumwolle.
    Lisbeth wagte, der gewichtigen Seidmacherin zu widersprechen. »Warum sollte man es ihnen denn nicht gestatten? Solange deutlich kenntlich gemacht wird, dass es sich nicht um reine Seidenstoffe handelt, damit niemand betrogen wird, kann es doch kein Schaden sein.«
    »Aber Kindchen!«, mischte sich nun Brigitta van Berchem ein. Die Gastgeberin hatte bislang geschwiegen, doch nun bedachte sie Lisbeth mit einem nachsichtigen Kopfschütteln. »Wie Frieda richtig gesagt hat: Wir sind Seidenweberinnen. Wenn einige von uns Leinen verweben, weiß man ja nicht mehr, wer überhaupt noch Seidenweberin ist.«
    »Oder Leinweberin«, ergänzte ihre Schwester Gunda überflüssigerweise und stellte eine duftende Platte mit in siedendem Fett gebackenen Apfelküchlein auf den Tisch.
    »Sollen sie doch zu den Leinwebern gehen!«, warf Mechthild van der Sar dazwischen.
    »Das Mischgewebe könnte aber auch seinen Nutzen haben«, überlegte Lisbeth laut. »Vielleicht für Kunden, die sich keine reinen Seidenstoffe leisten können, die sich aber doch etwas Luxus wünschen.« Sie war von Brigittas Argumenten nicht überzeugt und sah nicht ein, warum man den ärmeren Seidenweberinnen nicht gestatten sollte, Parger zu weben, wenn es ihnen dabei half, zu überleben und ihr Handwerk weiterhin selbständig auszuüben. »Ich glaube nicht, dass der Zunft ein Schaden daraus erwächst.«
    »Die Entscheidung liegt ohnehin beim Rat und nicht bei uns.« Katharina Loubach bemühte sich, zu vermitteln, und legte Lisbeth besänftigend die Hand auf den Arm.
    Für einen Augenblick senkte Brigitta ihren scharfen, an einen Raubvogel gemahnenden Blick in Lisbeths Augen, doch sogleich wandelte sich der harsche Ausdruck auf ihrem kantigen Gesicht, und Nachsicht glättete die Falten neben ihrer spitzen Nase. »Wie schön es wäre, wenn du recht hättest«, sagte sie, als spräche sie mit einem Kind, das noch zu jung war, um die Zusammenhänge zu begreifen. »Doch wir dürfen nicht leichtfertig ein Risiko eingehen. Darin sind wir uns doch einig?« Mit einem Blick in die Runde versicherte sich die Seidmacherin der Zustimmung der Anwesenden.
    Lisbeth bemerkte, dass außer ihr anscheinend nur Katharina Loubach anderer Meinung war. Doch Katharina enthielt sich eines Kommentares, und Lisbeth selbst fehlte die Kraft, abermals ihre Argumente vorzubringen. Vielleicht besaßen die älteren Seidmacherinnen in diesen Dingen den größeren Weitblick?
    Brigitta nahm die Zustimmung wohlwollend zur Kenntnis. »Ihr wisst ja, wie sehr mir das Wohl unserer Zunft am Herzen liegt. Deshalb werde ich mit meinem Oheim, dem Bürgermeister, sprechen. Vielleicht gelingt es mir, ihn davon zu überzeugen, dass es das Wohl der ganzen Seidmacherzunft gefährdet, wenn der Rat diesem Ansinnen einiger Unüberlegter stattgibt.«
    Mechthild van der Sar und Frieda murmelten beifällig, und ganz so, als wäre hier nicht gerade eine wichtige Entscheidung,

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