Die Tochter der Seidenweberin
die Belange der Zunft betreffend, gefallen, ergriff Brigitta als aufmerksame Gastgeberin eine Platte mit Gebäck und nötigte ihren Gästen wohlschmeckende Schmalzküchlein auf. Gunda beeilte sich, den Frauen die Becher neu zu füllen, und alsbald wandten sich die Gespräche der Frauen alltäglicheren Themen zu.
Mit ihrem gefüllten Becher nahm Lisbeth wieder ihren Platz am Fenster ein. Ihre Gedanken mochten sich noch nicht von dem soeben Geschehenen lösen. Rechtens und gemäß dem Zunftbrief war das sicher nicht gewesen. Was hier soeben bei Wein und Gebäck entschieden worden war, wäre ehedem vom Zunftvorstand bei einer Zunftsitzung besprochen worden, von zwei von der gesamten Zunft gewählten Amtsmeistern und zwei Amtsmeisterinnen. Aber ob die Entscheidung eines ordentlich gewählten Vorstandes anders ausgefallen wäre, wusste Lisbeth auch nicht zu sagen.
»… und weißt du schon, wer in Umständen ist?«, drängte sich ein Satzfetzen laut in Lisbeths Gedanken hinein, als wären die Worte eigens für sie gesprochen worden.
»Liese von Geyen!« Der Spott in Mechthild van der Sars Stimme war nicht zu überhören.
»Das ist doch nicht möglich! Die Ärmste kann doch gar keine Kinder kriegen!« Veronika van Hertens Mitleid mit Liese traf Lisbeth mehr als Mechthilds Häme, und sie presste die Lippen aufeinander.
»Doch, wenn ich es sage! Stolz wie ein Huhn, das ein Ei legt, gackert sie es überall herum.«
Lisbeth rückte ein Stück näher an Mechthild und Veronika heran, um sie besser verstehen zu können.
Mechthilds Kopf zuckte zu ihr herum. »Oh, wie taktlos von mir, du kannst ja auch keine …« Mit verlegener Geste schlug sie die Hand vor den Mund, doch ihre Augen funkelten mutwillig.
Lisbeth stieg das Blut zu Kopfe. Mit zusammengebissenen Zähnen rang sie sich dennoch ein Lächeln ab.
»Es geschehen doch Wunder!« Veronika schien sich für Liese zu freuen.
»Na, ein Wunder würde ich das nicht nennen«, bemerkte Mechthild lakonisch und senkte verschwörerisch die Stimme. »Eher Teufelswerk.«
»Teufelswerk?«, hauchte Veronika gespannt.
Mechthild zog geheimnisvoll die Brauen hoch. »Sie hat es ihrer Schwester Dörte gesagt, und die hat es meiner Base Gunda erzählt, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit …«
»Was hat sie erzählt?«, drängte Veronika ungeduldig.
Lisbeth hatte sich nun zu den beiden umgewandt und konnte nicht umhin, genauso gespannt wie Veronika an Mechthilds Lippen zu hängen.
»Sie war bei einer Heidin!«
»Nein!«
»Doch, sicher!« Mechthild neigte den Kopf zu Veronikas Ohr und hielt die Hand vor den Mund. »Sie war bei den Fahrenden, die vor dem Hahnentor lagern. Und eine von ihnen hat ihr ein Wundermittel gegeben!«, flüsterte sie laut genug, dass Lisbeth sie verstand.
»Und?«, fragte Veronika, begierig auf schauerliche Einzelheiten.
Doch Mechthild enttäuschte sie. »Nichts und! Es hat gewirkt.«
Clairgin warf sich ihren abgetragenen Wollumhang um die Schultern und schlug die Kapuze über ihre Haube, die an den Rändern bereits etwas angeschlissen war, bevor sie sich das unförmige Bündel auf die Schultern lud. Vielleicht war es ja doch ein wenig zu schwer geraten, dachte sie, aber bis zum Rheinufer würde sie es wohl schaffen.
Ein kühler Herbstwind wehte ihr vom Fluss entgegen, trieb ihr den Rock gegen die Beine, und als sie endlich schwer atmend den Anleger der Schalde nach Deutz erreichte, hatte ihr die Anstrengung das Gesicht gerötet.
Clairgin war nicht unglücklich darüber. Verdeckte die Röte doch die unschönen Flecken, die sich stets auf ihrer Haut zeigten und sie verrieten, sobald sie sich erregte. Und Clairgin war erregt. Sie hatte das Gefühl, unzählige Augenpaare würden sie verfolgen und ein jedes sähe ihr schon von weitem an, dass sie etwas Unredliches tat.
So ein Unsinn, schalt sie sich, als sie mit dem Bündel über den Rand der Schalde kletterte, jenem flachen Kahn, der den Fährdienst zwischen Köln und Deutz am gegenüberliegenden Rheinufer versah. Niemand nähme Notiz von der unscheinbaren Gestalt, die wie eine dunkle Krähe zwischen den anderen Weibern hockte, meist Butterverkäuferinnen und Milchmädchen von der schäl Sick, die ihre Ware in der Stadt zu Markte getragen hatten und nun am Nachmittag heimkehrten. Zwar waren deren Kannen, Körbe und Harassen leer bis auf wenige unverkäufliche Reste, während Clairgins Bündel prall gefüllt war, doch das schien keinen zu interessieren, wie Clairgin mit Erleichterung
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