Die Tochter der Seidenweberin
durcheinanderpurzelten.
Was wartete denn wirklich zu Hause auf sie? Die Töchter waren erwachsen und gut verheiratet. Sie brauchten sie nicht mehr.
Und das Faktorenamt, für das sie sich so gemüht hatte? Etwas schade wäre es darum wohl, dachte Fygen. Gerade jetzt, wo sie mit der Einfuhr allerfeinster Seide aus Almeria all jene Missgünstigen, die da behaupteten, eine Frau könne unmöglich in einem solchen Amt erfolgreich sein, allen voran ihren Eidam Andreas Imhoff, eines Besseren belehrt hatte.
Doch hier in Valencia könnte sie wieder Seidmacherin sein. Fygen liebte die Seide seit jenem lang vergangenen Tag, als sie zum ersten Mal im Seidenkaufhaus unter Riemenschneider zu Köln die Seidenballen betrachtet hatte, die sich in schillernden Farben zu Stapeln türmten. Nie würde die magische Faszination nachlassen, die dieser edle Stoff auf sie ausübte, und sie wusste: Im Grunde ihres Herzens war sie Seidenweberin.
Doch auch das war nicht wirklich von Bedeutung, erkannte Fygen jetzt. Sie würde auch bleiben wollen, wenn es keine Seidenweberei hier für sie gäbe. Denn wichtig war nur eines: Alejandro liebte sie!
Endlich, als sie sicher war, dass ihre Stimme ihr gehorchen würde, fragte sie: »Wie viel verlangt die alte Seidmacherin für die Webstühle?«
Ein Strahlen breitete sich über Alejandros Gesicht, als er den Sinn ihrer Worte erfasste. »Egal, ich biete ihr die Hälfte«, entgegnete er mit befreitem Lachen und ergriff Fygens Hände. »Du bleibst bei mir?«
»Ja, ich bleibe bei dir.«
Die Alte schien begriffen zu haben, dass eine Entscheidung gefallen war, und schenkte ihnen ein zahnloses Grinsen.
»Gira el cap!«, befahl Alejandro ihr knapp. »Schau weg!«
Kichernd legte sich die ohnehin kurzsichtige Weberin die Hände vor die Augen und drehte sich demonstrativ um, während Alejandro Fygen in seine Arme schloss. Die glucksende Antwort der Alten verstand Fygen nicht. Doch das machte nichts. Sie hatte ja den Rest ihres Lebens Zeit, diese wundervolle Sprache zu erlernen.
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Teil II
1502 bis 1504
8 . Kapitel
A bwesend blickte Lisbeth in den Regen hinaus, den der böige Herbstwind gegen die bemalten Glasscheiben des Hauses Xanten fegte. Die Treppengiebel des gegenüberliegenden Hauses erschienen ihr unnatürlich weit entfernt und unwirklich – so entfernt und unwirklich wie ihr eigenes Leben. Lisbeth seufzte. Sie war nicht unglücklich, dafür hatte sie beileibe keinen Grund, doch sie war auch nicht glücklich.
Nach wie vor liebte Lisbeth die Seidenweberei. Ihre Begeisterung für die feinen Garne und die schimmernden Stoffe, die sie in ihrer Kindheit magisch in Fygens Werkstatt getrieben hatte, war nicht geringer geworden. Und doch fehlte etwas in ihrem Leben. Etwas, das ihr Ermunterung und Antrieb war. Etwas, das sie des Morgens voller Tatendrang aus dem Bett springen und ihr Tagwerk beginnen ließ.
In den vergangenen Jahren war es ihr gelungen, die beiden Webereien, die sie von Mutter und Schwiegermutter übernommen hatte, zu einer einzigen Manufaktur zu vereinen, der nunmehr größten der Stadt. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten mit Stina hatten mittlerweile alle, auch Katryns altgediente Seidmacherinnen, die junge Frau Ime Hofe als ihre Dienstherrin akzeptiert und folgten ihren Anweisungen, ohne zu murren. Ihre Ware stand in gutem Ruf, nicht zuletzt dank der feinen Rohseide, die der Faktor der Ravensburger Handelsgesellschaft und neue Gemahl ihrer Mutter, Senyor de la Vega, nach Köln sandte und die Herman ihr natürlich bevorzugt zum Kauf anbot.
Immer noch war es für Lisbeth eine seltsame Vorstellung, ihre Mutter in diesem fernen Land zu wissen. Doch Fygen schien glücklich zu sein in ihrem neuen Leben, das war den Briefen aus Valencia deutlich zu entnehmen. Der alte Eckert war bei ihr geblieben und schien seinen ruhigen Lebensabend unter der südlichen Sonne zu genießen. Seinen betagten Knochen behagte das milde Klima und ihm die valencianischen Weinzapfe, in denen er sich die Zeit beim Würfeln vertrieb, wenn er seiner Herrin nicht zu Diensten war.
Ein Lächeln schlich sich auf Lisbeths Lippen, als sie sich vorstellte, wie ihre Mutter voller Eifer daran arbeitete, in ihrer neuen Heimat eine Seidenweberei aufzubauen mit Frauen, deren Sprache sie kaum sprach. Das war eine Herausforderung so recht nach Fygens Geschmack, dachte Lisbeth, und abermals seufzte sie. Sie beneidete ihre Mutter ein wenig um deren Aufgabe.
Dabei war sie mit ihrer Weberei durchaus ausgelastet. Von
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