Die Tochter der Suendenheilerin
vornehmen, Mutter?«
»Nein, Rudolf, das überlässt du mir.«
Er verzog das Gesicht. »Wenn du meinst …«
Inzwischen hatten sich auch Alheidis und Sibylla erhoben und begrüßten Lena.
»Soll ich erfreut sein, dich zu sehen, oder mich für Ulf schämen?«, fragte Alheidis zur Begrüßung, während sie Lena einen Kuss auf die Wange hauchte.
»Beides«, erwiderte Lena mit einem Lächeln. Sie kannte Alheidis seit ihrer Jugend, hatte sie aber nach deren Eheschließung mit dem Ritter von Eckholt nur noch selten gesehen. Dann wandte sie sich an Sibylla und trat schließlich auf Irmela zu, die in ihrem Lehnstuhl sitzen geblieben war.
Beim Anblick der hinfälligen Frau erschrak Lena. Sie hatte Ulfs Weib zuletzt vor Jahren gesehen, doch während er selbst ein tatkräftiger Mann geblieben war, hatte sie sich in eine gebrechliche Greisin verwandelt. Sie war so dürr geworden, dass ihr die Haut wie Pergament an den Knochen haftete. Die Augen lagen tief in den Höhlen, und der Kopf vermittelte den Eindruck eines Totenschädels.
War es nur der Kummer über den untreuen Gatten, oder litt Irmela an einer auszehrenden Krankheit? Nun, auch das hoffte Lena noch zu ergründen.
»Frau Irmela, ich grüße Euch. Es ist lange her, dass wir uns zuletzt begegneten.«
Die Greisin neigte leicht das Haupt. »Sehr lange«, bestätigte sie. »War es nicht auf Burg Hohnstein, in jenem kalten Winter, bevor Ihr nach Ägypten gereist seid, Frau Helena?«
»Richtig, anlässlich der Geburt von Maria Amalia, Johanns und Mechthilds Erstgeborener.« Lenas Gedanken schweiften zurück. Es war im März gewesen, Said hatte noch bei ihnen geweilt. Damals hatte Johann Philip gebeten, seinen jüngeren Bruder Bertram zu seinem Knappen zu machen. Dreiundzwanzig Jahre und ungezählte Abenteuer am anderen Ende der Welt lagen dazwischen.
»Warum habt Ihr den Schutz Eurer Burg verlassen, Frau Helena?« Plötzlich kam Leben in die Augen der alten Irmela. »Es bringt nur Ärger, wenn Frauen sich in die Angelegenheiten der Männer einmischen.«
»Glaubt Ihr?«, fragte Lena mit ruhiger Stimme zurück. »Ich habe eher den Eindruck, es bringe Ärger, wenn man ihnen allzu freie Hand lässt.«
»Ganz richtig«, pflichtete Alheidis Lena bei. »Ich sehe doch, was geschieht, wenn die ordnende weibliche Hand schwach wird oder wenn sie gar verstirbt. So wie die arme Madlen, Gott hab sie selig.« Alheidis bekreuzigte sich, und Sibylla tat es ihr bei der Erinnerung an ihre Mutter gleich.
»Willst du sagen, es sei meine Schuld gewesen?« Irmela funkelte Alheidis mit überraschender Kampfeslust an.
»Natürlich nicht.« Beschwichtigend hob Alheidis die Hände. »Aber es zeigt sich, wie sehr manche Männer die geschwächte Gesundheit ihres Weibs nutzen, um alle Moral zu vergessen.«
Irmela stieß heftig die Luft aus und erinnerte Lena an ein zorniges Pferd. »Den Weibern ist Ulf schon nachgesprungen, als ich noch voller Kraft und Jugend war. Wenigstens haben die meisten seiner Bastarde das Säuglingsalter nicht überlebt.«
Die innere Zufriedenheit, mit der Irmela diese Worte aussprach, versetzte Lena einen Stich. Sie erinnerte sich, wie Sachmets Mutter Thea ihr von ihrem ersten Kind erzählt hatte. Julia, deren Vater Ulf von Regenstein gewesen war. Auch Julia war bereits im Säuglingsalter verstorben, und Thea hatte Irmela beschuldigt, das Kind heimlich beseitigt zu haben. Damals hatte Lena der Vermutung keinen Glauben schenken wollen. Als sie jedoch die Verbitterung in Irmelas Augen las, konnte sie Theas Verdacht nachvollziehen. Unwillkürlich suchte Lena nach Irmelas Seelenflamme. Sie hatte ein schwaches Glimmen erwartet, der Schwäche des Leibes entsprechend. Was sie indessen sah, war eine blutrote Flamme, genährt von Hass und Verbitterung. Unwillkürlich wich Lena einen Schritt zurück. Diese Frau krankte nicht nur am Leib, sondern vor allem an der Seele. Was mochte wohl zuerst vorhanden gewesen sein? Irmelas boshafte Verbitterung oder Ulfs verächtliches Verhalten ihr gegenüber?
»Was kann ein Bastard für die Fehltritte seines Vaters?«, fragte Lena nun.
Sofort loderte die blutrote Flamme in Irmelas Augen stärker auf. »Der verdorbene Kern wird sich immer zeigen. So wie bei Meinolf.«
»Verdorben ist der Bursche durch und durch«, bemerkte Rudolf, der die ganze Zeit ruhig hinter seiner Mutter gestanden hatte.
»Das mag sein«, erwiderte Lena. »Es fragt sich allerdings, ob dies an seiner Geburt oder an seiner Erziehung liegt. Ich glaube, dass jeder
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