Die Tochter der Suendenheilerin
er die Klinge zweimal durch. Die Angreifer stürzten, doch einer der Männer streifte Antonias Stute. Sie bäumte sich auf, und einen Augenblick lang fürchtete Antonia, das Tier sei verletzt worden. Dann stürmte es in wilder Panik los.
»Antonia!«, hörte sie Stephan schreien.
»Sie geht mir durch!«, rief sie verzweifelt. Gleichzeitig zog sie die Zügel fest an, lehnte sich im Sattel zurück, um das Pferd zum Anhalten zu zwingen, doch in blinder Panik galoppierte es weiter.
»Nicht dort entlang!«, brüllte Stephan. Sie hörte die Verzweiflung in seiner Stimme. Ihre Stute hielt geradewegs auf die reißende Bode zu. Immer wieder versuchte Antonia, sie zu zügeln. Vergeblich. Stephan war eine halbe Pferdelänge hinter ihr, vermochte das rasende Tier aber nicht einzuholen.
Wir werden in den Tod stürzen, durchzuckte es sie. Und dann handelte sie aus blindem Gespür heraus. Wenn sie das Tier schon nicht zum Anhalten zwingen konnte, vielleicht konnte sie es zum Sprung bewegen.
»Nein!«, schrie Stephan, doch er kam nicht nahe genug, um ihr in die Zügel greifen zu können.
Dann muss es wohl so sein, dachte sie, gab die Zügel etwas nach, trieb die Stute nun ihrerseits an und machte sich so leicht wie möglich. Das Pferd sprang tatsächlich, kam auf der anderen Seite des Flusses mit den Hufen im Uferschlamm der Böschung auf, doch dann rutschte es ab. Antonia wurde aus dem Sattel geschleudert. Das eisige Wasser des reißenden Flusses schlug über ihr zusammen, die plötzliche Kälte raubte ihr den Atem, drohte sie zu lähmen. Ein Schatten über ihr. Auch Stephans Pferd war gesprungen, doch sein Tier hatte das andere Ufer sicher erreicht. Verzweifelt kämpfte Antonia gegen die Strömung, wurde gegen Steine geworfen, spürte, wie die scharfen Kanten Kleidung und Haut aufrissen. An einem der Steine versuchte sie sich festzuklammern, doch er war zu glatt. Ihre Finger rutschten ab, der Fluss trug sie weiter, drückte sie immer häufiger unter Wasser. Sie kämpfte um jeden Atemzug, Wasser drang durch die Nasenlöcher in ihren Schlund. Sie fürchtete zu ersticken, hustete, doch immer mehr Wasser lief ihr in die Kehle. Sie kämpfte gegen den Drang, sich zu übergeben, bemühte sich, mit der Strömung zu schwimmen. Dabei tastete sie immer wieder nach Steinen, doch nirgends fanden ihre Hände Halt. Mittlerweile waren ihre Finger steif vor Kälte, das Ufer lag in unerreichbarer Ferne. Ihr wurde schwindelig. War dies das Ende? Ihr Herz raste, und der Körper gehorchte ihr nicht mehr. Das Wasser riss sie immer schneller mit sich, warf sie gegen Steine und Felsüberhänge, überspülte ihr Gesicht, raubte ihr die Luft zum Atmen.
Heilige Jungfrau, waren ihre letzten Gedanken, empfiehl mich deinem Sohn!
Ein Ruck! Irgendetwas hatte ihren Arm gepackt, schlang sich um ihren Leib, riss sie hoch, hielt ihren Kopf über Wasser.
»Ganz ruhig! Ich halte dich fest!«
Stephan! Wann war er ihr nachgesprungen? Plötzlich kehrte ihr Lebenswille zurück, sie spürte die Wärme seines Körpers, der sie hielt, der stark genug war, mit seiner Last auf das Ufer zuzuhalten. Dennoch bekam sie nur undeutlich mit, wie er sie schließlich aus dem kalten Wasser zog. Gierig sog sie Luft in die Lungen. Luft bedeutete Leben. Stephan hielt sie noch immer fest. Sie schmiegte sich zitternd an seinen warmen Leib und öffnete schließlich die Augen. Sein Gesicht schwebte dicht über ihr, sein schneller, heißer Atem strich ihr über die Schläfe. Ihre Blicke trafen sich. Sie erkannte die Sorge darin. Aber da war noch etwas anderes, das ihr nie zuvor aufgefallen war. Ein kleines Feuer, das hinter seinen Pupillen zu lodern schien.
»Du darfst mich nie wieder so in Angst und Schrecken versetzen«, keuchte er. Und dann zog er sie fester an sich und küsste sie.
Einen Augenblick lang war sie überrascht von seiner Leidenschaft, doch dann überkam sie unbändige Freude. Wie lange hatte sie sich danach gesehnt! Nach seiner Liebe, seinem Bekenntnis! Endlich hielt er sich nicht mehr zurück. Sein Mund lag warm und weich auf ihren Lippen, seine Hände umfassten sie beschützend, fest und sanft zugleich. Ein wunderbares Kribbeln erfasste ihren Körper, spülte die Todesangst aus ihrer Seele. Ihre Arme schlangen sich um ihn und hielten ihn fest. Voller Hingabe zehrte sie von seiner Kraft und Wärme. Als er sich zurückziehen wollte, hätte sie ihn am liebsten festgehalten und die Zärtlichkeiten fortgesetzt. Doch dann spürte sie den Schmerz in ihren Gliedern, die
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