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Die Tochter der Suendenheilerin

Die Tochter der Suendenheilerin

Titel: Die Tochter der Suendenheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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Abschürfungen, die sie sich im reißenden Fluss zugezogen hatte, und die Kraft, die sie eben noch durchströmt hatte, verlosch gänzlich. Der Wind zerrte an ihrer nassen Kleidung, während Stephan sie langsam losließ und einen Blick auf ihre Verletzungen warf.
    »Sind sie noch hinter uns her?«, flüsterte sie und fühlte sich außerstande, lauter zu sprechen.
    »Das weiß ich nicht. Wir sind eine weite Strecke vom Fluss mitgerissen worden. Hast du starke Schmerzen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht weiter schlimm. Nur einige Abschürfungen und Prellungen.«
    Ungeachtet ihrer Bekundungen berührte er behutsam ihre Beine und bewegte sie vorsichtig. Sie war erstaunt, wie sanft, ja fast liebkosend er bei der Untersuchung vorging. Jede seiner Berührungen erzeugte ein wunderbares Prickeln auf ihrer Haut. Ob er ahnte, was in ihr vorging?
    »Tut dir etwas weh?«, fragte er.
    »Nein«, antwortete sie.
    »Gut.« Er ließ ihre Beine los. »Gebrochen ist jedenfalls nichts.« Dann erhob er sich und stieß einen lauten Pfiff aus. Erschrocken zuckte Antonia zusammen.
    »Wenn Windläufer mich gehört hat, folgt er dem Ruf«, erklärte er.
    Stephans Hengst hatte den Pfiff seines Herrn tatsächlich vernommen und galoppierte auf ihn zu. Und nicht nur das. Antonias Stute folgte ihm, dem Herdentrieb gehorchend. Augenscheinlich hatte auch sie den missglückten Sprung unverletzt überstanden.
    Stephan ging den Pferden entgegen und überprüfte die Satteltaschen.
    »Ich fürchte, dein Reisegut ist feucht geworden«, sagte er und wies auf die dunklen Flecken, die das Wasser im Leder ihrer Taschen hinterlassen hatte. Dann schnallte er seine eigene Satteltasche auf, zog eine Decke heraus und legte sie Antonia, die immer noch am Boden saß, um die Schultern. Während sie den warmen Wollstoff fester um sich zog, spähte sie zur anderen Seite des Flusses hinüber.
    »Was ist wohl mit Alexander und den anderen geschehen?«, fragte sie.
    Stephan hob die Schultern. »Vermutlich sind sie entkommen. Falls nicht, werden wir es bald erfahren.«
    »Wie kannst du so ruhig bleiben? Was ist, wenn sie tot sind?« Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Das sind sie nicht. Die Regensteiner hätten nichts von einer Blutrache. Zudem sind hochrangige Gefangene wertvoll.« Er sah sie an, und abermals hatte sie den Eindruck, dass hinter seinen Pupillen ein helles Feuer loderte. Sie kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Die Flamme blieb.
    »Im Übrigen habe auch ich niemanden getötet«, fuhr er fort. »Ich habe die Verfolger nur verwundet.«
    Er wandte sich erneut seiner Satteltasche zu und zog ein trockenes Hemd hervor. Dann entledigte er sich des nassen Bliauts und des Hemds, das er darunter trug. Beim Anblick der großflächigen Brandnarben auf seinem Rücken erschrak Antonia. Das wulstige rote Narbengeflecht zog sich von den Schultern quer über die obere Hälfte des Rückens. Antonia wusste einiges über Verbrennungen und ahnte, wie schwer jene Verletzung gewesen sein musste. Vor geraumer Zeit war sie dabei gewesen, als ihre Mutter sich um einen Köhler gekümmert hatte, der eine ähnlich schwere Verbrennung davongetragen hatte. Mit Schrecken erinnerte sie sich an die Schmerzensschreie, an den Geruch nach verbranntem Fleisch und die zahllosen Fliegen, die sich kaum von der offenen Wunde hatten vertreiben lassen. Trotz bester Versorgung war der Mann einige Tage später gestorben.
    Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sich Stephan in Alvelingeroth das Tuch um die Schultern geschlungen hatte. Damals hatte sie sich nichts dabei gedacht. Nun begriff sie. Er hatte die Narben vor ihr verbergen wollen.
    »Du hast viel Schreckliches erlebt«, sagte sie leise, während er das Hemd überstreifte. Er fuhr herum, als fühle er sich ertappt.
    »Das ist lange vorbei.« Seine Worte klangen gleichmütig, aber Antonia hatte dennoch das Gefühl, dass sie etwas in ihm aufgewühlt hatte. Wieder achtete sie auf das Licht in seinen Augen, das ihr bislang nie aufgefallen war. Doch auf einmal war da nur noch ein schwaches bläuliches Glimmen. Und endlich begriff sie, was geschehen war. Zum ersten Mal hatte sie die Seelenflamme eines Menschen erblickt!
    »Stephan?«, fragte sie mit unsicherer Stimme.
    »Ja?«
    »Sieh mir noch einmal in die Augen!«
    Er folgte ihrer Bitte mit verwirrtem Stirnrunzeln. Das blaue Glimmen war wieder zu einer kräftigen Flamme geworden. Es gab keinen Zweifel mehr – sie besaß die Gabe. Ein Frösteln lief ihr

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