Die Tochter der Suendenheilerin
das Wort ab. »Hast du mir noch etwas zu sagen?«
»Du hast Glück, dass mein Vater dich als Boten braucht. Sonst würdest du Burg Regenstein nicht mehr lebend verlassen.«
»Natürlich.«
»Ich warne dich, Stephan von Cattenstedt, du solltest meine Worte lieber ernst nehmen.«
»Selbstverständlich.«
»Bring ihn zu seinem verdammten Gaul!«, brüllte Meinolf dem wartenden Waffenknecht zu.
Stephan folgte dem Mann, doch in der Tür wandte er sich noch einmal um. »Auf Wiedersehen, Herr Meinolf.«
Mittlerweile war es dunkel geworden. Hätte Stephan Meret bei sich gehabt, hätte er die Nacht bei seinem Vater auf Gut Cattenstedt verbracht, das auf halbem Weg zwischen Regenstein und Birkenfeld lag. Aber er war allein und wollte Graf Philip so rasch wie möglich über die jüngsten Ereignisse in Kenntnis setzen. Auch wenn es ihn mit tiefer Scham erfüllte, erneut versagt zu haben.
Die Pechfackel spendete gerade genügend Licht, dass er den Pfad erkannte. Zum Glück hatte er noch zwei weitere Fackeln in seiner Satteltasche. Unter diesen Bedingungen würde er wohl gut zwei Stunden brauchen, um Birkenfeld zu erreichen.
Allerlei Nachtfalter umschwirrten sein Licht, in der Ferne hörte er einen Wolf heulen. Das störte ihn nicht weiter. Zu oft war er durch die Hölle geschritten, um noch Angst zu kennen. Dennoch kostete es ihn einige Überwindung, nicht den Pfad nach Cattenstedt einzuschlagen, sondern auf dem Weg nach Birkenfeld zu bleiben. Jeder Atemzug schmerzte – er war sich sicher, dass mindestens eine Rippe gebrochen war. Sein Pferd schnaubte. Mit der freien Hand tätschelte er ihm den Hals. Ein arabisches Vollblut, nicht so stämmig wie die einheimischen Pferde, dafür überaus schnell und wendig. Einen Moment lang schweiften seine Gedanken ab, zurück in jene Zeit, da es ihn zum ersten Mal aus Todesgefahr getragen hatte. Doch sofort unterdrückte er die alten Erinnerungen. Es gab Erlebnisse, an die wollte er nie mehr denken.
Er lauschte in die Nacht hinaus. Dem Heulen des ersten Wolfs hatte sich ein zweiter angeschlossen. Irgendwo bellte ein Hund. Vermutlich gehörte er zu einer der Köhler- oder Holzfällerhütten, die überall im Wald verstreut lagen.
Auf einmal war er froh, dass er Meret diesen Ritt nicht zumuten musste. Gewiss, für ein elfjähriges Mädchen war sie ausgesprochen verständig, sie hatte nicht einmal geschrien, als Eberhard sie entführt hatte. Aber der dunkle Wald übte eine Macht aus, die jeden in Angst und Schrecken versetzte. Jeden außer ihn. Das war der einzige Vorteil, wenn die eigene Seele von dunklen Dämonen beherrscht wurde. Kein äußerer Schrecken konnte schlimmer sein.
Endlich tauchten vor ihm die Lichter von Burg Birkenfeld auf. Er unterdrückte den Wunsch, sein Pferd zu schnellerer Gangart anzutreiben. Zu leicht konnte es bei Dunkelheit einen Fehltritt tun und sich ein Bein brechen.
Das Tor war längst geschlossen, doch auf sein Rufen hin wurde ihm das kleine Manntor geöffnet.
»Stephan?« Nikolaus, der um diese Zeit zur Wache eingeteilt war, starrte den Ankömmling an, als wäre er ein nächtliches Gespenst. »Wo warst du?«
»Unterwegs.«
»Herr Philip hat nach Rudolf und dir gesucht. Weißt du, wo Rudolf ist?«
»Ja.«
»Wo?«
Stephan reichte Nikolaus die Fackel und stieg vom Pferd.
»Bring ihn in den Stall!«, verlangte er, während er Nikolaus auch die Zügel übergab. »Ich muss mit Herrn Philip sprechen.«
»Wegen Rudolf?«
»Bring das Pferd in den Stall!«, wiederholte Stephan. Dann machte er sich auf den Weg zur Hauptburg.
Aus dem Kaminsaal drang noch Licht. Stephan wollte tief durchatmen, doch der Schmerz war kaum erträglich. Verfluchte Rippe! Er fasste sich ein Herz und klopfte an.
Graf Philip und sein Sohn Alexander saßen am Tisch vor dem Kamin und musterten ihn schweigend.
»Ich bringe keine guten Neuigkeiten«, sagte er. Lange Ausflüchte waren nie sein Fall gewesen. »Rudolf und ich waren auf Burg Regenstein.«
»Auf Burg Regenstein?« Die Gesichtszüge des Grafen verhärteten sich. Das versteckte Lächeln, das seinen Blick sonst immer umspielte, war gänzlich verschwunden. »Was hattet ihr dort zu suchen?«
Stephan schluckte. »Rudolf hatte gehofft, Meret freizubekommen, wenn er sich an ihrer Stelle als Austauschgeisel anböte.«
»Und?«
Stephan senkte den Blick. »Sie haben Rudolf zum Bleiben gezwungen, aber Meret nicht freigegeben. Ich soll Euch ausrichten, dass sie die beiden so lange festhalten werden, bis Ihr bereit seid, ein
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