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Die Tochter der Suendenheilerin

Die Tochter der Suendenheilerin

Titel: Die Tochter der Suendenheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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Ordnung?«
    Stephan zuckte zusammen. Hastig nickte er und wich Karims mitfühlendem Blick aus. Nun hätte er sich doch gern an einem Becher Wein festgehalten.
    »Thomas war für Rafik ben Tahir vermutlich ein Glücksgriff«, fuhr er eilig fort, ganz so, als könne er die bösen Erinnerungen durch schnelle Worte abmildern, sie einfach nur mit Karim teilen, ohne sie noch einmal durchleben zu müssen. »Er machte sich bald einen Namen als guter Zimmermann. Während ich für die Ställe zuständig war und stets auf dem Gut blieb, wurde Thomas regelmäßig in andere Häuser geschickt, um dort Holzarbeiten vorzunehmen. So hatte er die Gelegenheit, die Stadt Kairo kennenzulernen, und er bekam auch das eine oder andere Bakschisch. Zudem trieb er einen schwunghaften Handel mit kleineren Schnitzarbeiten, und das brachte ihm ebenfalls Geld ein. Es war nicht viel, aber seine Barschaft wuchs stetig. Dabei versuchte er auch, Näheres über mögliche Fluchtrouten herauszufinden. So vergingen viele Monate. In dieser Zeit kamen einige neue Sklaven auf das Gut von Rafik ben Tahir. Mir fiel auf, dass die meisten Neuen nach spätestens drei Monaten vom Halseisen befreit wurden, selbst wenn sie weniger zuverlässig waren als Thomas und ich. Das empfanden wir jedes Mal als Stich in unsere Seelen. Ich fand es ungerecht, und eines Tages fragte ich Wakur, ob er mit unserer Leistung zufrieden sei.
    ›Ich dachte, das wüsstest du‹, erwiderte er.
    ›Warum tragen wir dann immer noch das Halseisen?‹
    ›Ein Löwe bleibt ein Löwe, auch wenn er an der Kette liegt‹, lautete seine Antwort.
    ›Es ist also völlig gleichgültig, ob wir gute Arbeit leisten oder nicht? Es wird sich nie etwas ändern?‹
    Er sah mich erstaunt an, denn er war es nicht gewohnt, dass ich so viel sprach.
    ›Würde ich es dulden, dass du dich regelmäßig mit Bespina im Heu vergnügst, oder dass dein Bruder mit seinen Schnitzereien Handel treibt wie ein syrischer Händler, um Amira mit Süßigkeiten zu verführen, wenn ich mit eurer Arbeit unzufrieden wäre?‹
    Ich schwieg. Mit einem Satz hatte er mir deutlich gemacht, wo mein Platz war und dass all meine kleinen Geheimnisse wertlos waren, wenn er sie mir nicht wie eine Belohnung zugestand. Ich war nur froh, dass Thomas tatsächlich regelmäßig Naschwerk für Amira kaufte, denn so ahnte Wakur nicht, dass wir den Großteil des Gelds für unsere Flucht versteckten. Am Abend erzählte ich Thomas von dem Gespräch. Er hob nur die Schultern und meinte, die Schlösser, mit denen die Ketten an den Halseisen befestigt waren, seien alle gleich gearbeitet. Er werde versuchen, einen Schlüssel zu beschaffen, sobald unser Fluchtweg feststehe. Er sagte das leichthin, aber zum ersten Mal spürte ich, dass auch ihn der Mut verließ. Bald ein Jahr war vergangen, aber wir hatten keine Fortschritte gemacht. Im Gegenteil, wir hatten uns in unserem Sklavendasein so gut eingerichtet, dass wir die damit verbundenen Demütigungen kaum noch spürten. In den Augen der anderen Sklaven galten Bespina und Amira als unsere Frauen. Ich kümmerte mich um Bespinas Sohn Zeki, als wäre ich sein Vater. Wenn ich die Pferde zur Koppel brachte, durfte er immer auf einem der Tiere reiten. Dabei erklärte ich ihm, wie man ein Pferd lenkt. Das war natürlich nichts, was ein kleiner Sklavenjunge lernen sollte, aber Wakur schritt nicht dagegen ein. Seine große Stärke bestand darin, dass er die Leine lang genug ließ, sodass ich immer noch das Gefühl hatte, irgendetwas verlieren zu können. Denn ich genoss das Zusammensein mit Zeki und seiner Mutter, fand bei ihnen eine Geborgenheit, wie sie nur die eigene Familie schenken kann.« Bei der Erinnerung an jene Zeit schweifte sein Blick wieder über die Wälder. Die Sonne war mittlerweile ganz untergegangen, und die Wächter hatten die Fackeln am Tor entzündet.
    »Hast du Bespina geliebt?«, fragte Karim.
    Stephan zögerte. Er hatte sich diese Frage nie gestellt. Bespina war von Anfang an für ihn da gewesen, hatte sich um seine schweren Verbrennungen gekümmert und ihn gesund gepflegt. Er hatte sie geschätzt, ihre Nähe, ihre Zuneigung, ihre Wärme. Aber war das Liebe gewesen? Verzehrende, leidenschaftliche Liebe, die kaum Raum für andere Gedanken ließ? Für die er alles aufgegeben hätte? Gefühle, wie er sie für Antonia empfand?
    »Ich hatte sie sehr gern«, antwortete er schließlich, »und für Zeki übernahm ich gern die Aufgaben eines Vaters. Vermutlich haben wir uns gegenseitig gebraucht,

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