Die Tochter der Suendenheilerin
nur scheinbar gezähmt hast.‹ Dann wandte er sich an Rafik ben Tahir. ›Herr, du solltest auf mich hören und ihn und seinen Bruder verkaufen. Die Kapitäne zahlen gutes Gold für kräftige Ruderer.‹
Rafiks Blicke schweiften zwischen Hakan, Wakur und mir hin und her. Schließlich sprach er mich an. ›Was sagst du? Hat Hakan recht?‹
›Wenn Hakan deiner Meinung nach recht hat, dann verkauf uns an die Galeeren‹, erwiderte ich. ›Es wird den übrigen Sklaven eine Lehre sein, sich lieber zu verstecken, als für Leben, Ehre und Besitz ihres Herrn zu kämpfen.‹
›Ich denke darüber nach‹, entgegnete Rafik. Dann gab er mir einen Wink, ich solle aufstehen und gehen.
›Warte draußen auf mich!‹, raunte Wakur mir zu.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er kam. Seine Miene war undurchdringlich. ›Komm mit!‹, forderte er mich auf. Ich war unsicher, stellte aber keine Fragen. Er führte mich zu der kleinen Schmiede, die zum Gut gehörte. ›Nimm ihm das Eisen ab!‹, befahl er dem Schmied. ›Er hat es sich verdient.‹
Wenig später wurde auch Thomas das Halseisen abgenommen, aber zunächst änderte sich nicht viel. Wir gingen weiterhin unserer gewohnten Arbeit nach, bis einige Wochen später eine Karawane mit kostbarer Handelsware von Kairo nach Alexandria aufbrechen sollte. Noch immer machten die versprengten Kreuzritterbanden die Wege unsicher, sodass die Handelszüge einen bewaffneten Geleitschutz brauchten. Zu jener Zeit waren einige von Hakans Männern an Sumpffieber erkrankt. Deshalb entschied Rafiks Sohn Faris, ich solle die Karawane bewaffnet begleiten. Hakan tobte, aber niemand hörte auf ihn. Jeder wusste, dass ich nicht fliehen würde, wenn mein Bruder in Kairo blieb.
In der Nacht, bevor ich aufbrach, gab Thomas mir sein ganzes Geld. Ich sollte versuchen, in Alexandria einen Kapitän zu finden, der die Stadt regelmäßig anlief, damit wir im Fall einer Flucht wussten, an wen wir uns wenden konnten.«
»Keine einfache Aufgabe für einen unfreien Mann«, bemerkte Karim.
»Das scheint nur so.« Stephan lächelte. »Wir hatten uns viele Gedanken gemacht. Es gab eine Möglichkeit, heimlich mit Seeleuten ins Gespräch zu kommen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dich zum Hafen gelassen hätte.«
»Das war auch gar nicht nötig. Nach unserer Ankunft in Alexandria bat ich Faris, für ein Gebet die christliche Kirche aufsuchen zu dürfen. Seit ich seine Schwester gerettet hatte, war Faris mir gegenüber recht großzügig und stimmte zu. Ich hatte Glück und traf in der Kirche tatsächlich einen alten Kapitän aus Lübeck, der seit mehr als zwanzig Jahren Handel mit Kaufleuten aus Alexandria trieb. Kapitän Ludger war bereit, das Wagnis einzugehen, Thomas und mich auf seinem Lübischen Adler mitzunehmen, wenn er in einem halben Jahr wieder nach Alexandria käme. Damit war die größte Hürde überwunden. Zum ersten Mal hatten wir Anlass zu der Hoffnung, die Heimat doch noch einmal zu sehen.«
»Und dann seid ihr nach deiner Rückkehr geflohen?«
»Nein. Es kam anders.« Stephan atmete tief durch. »Kurz bevor wir die letzten Vorbereitungen für die Flucht getroffen hatten, fand die Hochzeit von Rafiks Tochter Jamila mit dem Sohn eines benachbarten Kaufmanns statt. Jamila war mir noch immer zu tiefem Dank verpflichtet. Deshalb erbat sie sich von ihrem Vater unsere Freilassung als Hochzeitsgeschenk. Er gewährte ihr diesen Wunsch, und so kamen wir frei.«
»An ein solches Ende hätte ich nicht gedacht.«
»Es war wie ein Traum. Und doch mischte sich in die Freude über die Freiheit Trauer über den Abschied von Bespina, Zeki und Amira. Sogar von Wakur.« Ein wehmütiges Lächeln umspielte Stephans Lippen. »Aber sie hatten Verständnis, wussten, dass wir in ihrem Land nie heimisch würden. Voller Übermut brachen wir auf, waren uns so sicher, in einigen Wochen wieder in den heimischen Wäldern zu jagen.«
»Und dann?«
Stephan senkte den Blick. »Am folgenden Tag sind wir beide uns zum ersten Mal begegnet, Karim.«
Karim erblasste. »Wer hat euch überfallen? Und warum?«
»Lass es für heute genug sein.« Stephan wandte sich ab, wohl wissend, dass ihn der alte Albtraum in dieser Nacht wieder quälen würde …
51. Kapitel
K urz vor Sonnenaufgang eilte Antonia zu den Ställen. Sie wollte Stephan vor seiner Abreise unbedingt noch einmal sehen. Er legte gerade letzte Hand an den Sattel seines Hengstes. Als er sie bemerkte, lächelte er. Antonias Herz schlug schneller. Sie
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