Die Tochter der Suendenheilerin
gehabt, alles könne ihm gelingen. Inzwischen … Er hatte den verfluchten Regensteinern sein Wort gegeben, nicht zu fliehen. Zwar hatte er ihnen nichts versprochen, was Meret betraf, aber er war Eberhard gegenüber aufrichtig gewesen. Wie sollte seine kleine Schwester auch allein durch die Wälder reiten, wenn er nicht dabei war und sie beschützen konnte?
War das Gefühl der Zuversicht, das ihn in seinem gerechten Zorn vor einigen Tagen noch durchströmt hatte, tatsächlich nur der helle Vorbote der Dunkelheit gewesen? Seit er den Regensteinern sein Wort gegeben hatte, lag ein Schatten auf seiner Seele, saugte ihm alle Kraft und Zuversicht aus dem Herzen. Er kannte die dunklen Tage, hatte sie bislang immer wieder überwunden. Aber zu jener Zeit war er nur für sich selbst verantwortlich gewesen, hatte seine Familie um sich gehabt. Vor allem seine Mutter wusste, wie es in ihm aussah, und half ihm mit der ihr eigenen Stärke, die Schwermut zu besiegen. Ebenso wie sie ihm gern Zügel anlegte, wenn das Feuer der Zuversicht ihn zu verbrennen drohte, er sich für stärker hielt, als er tatsächlich war, und zu allerlei Torheit neigte.
Schritte. Rudolf wandte sich um. Einer der Waffenknechte stand hinter ihm.
»Ich soll Euch in den Rittersaal bringen«, sagte er.
Rudolf nickte. »Komm, Meret! Sicher erfahren wir, was Stephan wollte.«
»Von dem Kind war nicht die Rede. Herr Ulf will mit Euch sprechen.«
»Was längst nicht heißt, dass mich meine Schwester nicht begleiten darf.« Mit Nachdruck griff Rudolf nach Merets Hand.
Der Waffenknecht schnaubte, widersprach aber nicht.
»Wollt Ihr wissen, was Ihr Eurem Vater wert seid?« Ulf schritt verärgert vor dem Tisch auf und ab, in der Hand ein halb zerknülltes Schriftstück. Eberhard saß mit missmutiger Miene an seinem Platz, nur Meinolf zeigte ein seltsam zufriedenes Gesicht.
»Anscheinend nicht das, was Ihr Euch erhofft habt«, gab Rudolf gleichmütig zurück.
»Da!« Ulf warf ihm das Schreiben vor die Füße. Rudolf bückte sich, hob es auf, strich es glatt und las.
»Nun, was sagt Ihr dazu, Herr Rudolf?«, zischte Ulf.
»Ich habe Ritter Bertram schon immer für seine Schönschrift bewundert. Dies ist ganz zweifelsfrei von seiner Hand verfasst – ich erkenne es an den großen geschwungenen Anfangsbuchstaben. Die Formulierungen hingegen klingen nach meinem Vater. Vor allem der letzte Satz ist wunderschön, nicht wahr?«
Ulf riss Rudolf den Fehdebrief aus der Hand.
»Eigentlich sollte ich Eurem Vater darauf die Antwort geben, die er verdient. Euch mit durchgeschnittener Kehle vor seine Schwelle legen!«
»Nein!«, schrie Meret und klammerte sich ängstlich an ihren Bruder.
»Keine Sorge, Schwesterchen.« Rudolf strich ihr behutsam über das Haar. »Das wird er nicht tun, denn eine solche Tat widerspräche den Gesetzen der Ritterschaft.« Dann hob er den Blick und sah Ulf unverwandt in die Augen. »Es scheint Euch zu gefallen, kleine Mädchen zu erschrecken. Messt Euch lieber mit Euresgleichen!«
»Euer Vater hat mich bitter enttäuscht.«
»Besser Euch als mich. Und nun sagt, was wollt Ihr von mir?«
»Euch warnen, Herr Rudolf. Ihr gabt mir Euer Wort, nicht zu fliehen. Ab sofort herrscht Fehde zwischen unseren Familien. Solltet Ihr Euer Wort brechen, sterbt Ihr.«
Rudolf spürte, wie Meret sich fester an ihn schmiegte.
»Eine überflüssige Drohung. Ein Birkenfelder bricht niemals sein Wort. Und nun hört bitte damit auf, meine Schwester zu ängstigen. Das ist eines Grafen nicht würdig.«
Ulf knurrte etwas Unverständliches. Meinolf grinste, während Eberhard den Blick senkte. Für einen Moment war Rudolf verwirrt. Sollte sich Eberhard womöglich ernsthaft unwohl in seiner Haut fühlen? Vielleicht konnte Sibylla ihm mehr verraten. Er hatte sie auch in der vergangenen Nacht durch das Fenster besucht und Artigkeiten mit ihr ausgetauscht. Was hätte Eberhard wohl gesagt, hätte er gewusst, mit welchen Blicken seine Tochter einen Birkenfelder bedachte?
»War das alles?«, fragte er. »Dürfen wir uns wieder zurückziehen?«
»Gleich.« Meinolf war aufgestanden. »Vorher habe ich Euch jedoch noch etwas zu sagen.«
»Wie könnte es auch anders sein? Ihr habt ja immer etwas zu sagen.«
»Euch ist gewiss klar, dass Eure Familie diese Fehde niemals für sich entscheiden kann. Auch dann nicht, wenn die Hohnsteiner an ihrer Seite kämpfen. Regenstein hat zu viele mächtige Vasallen. Eure Familie wird unterliegen.«
»Warten wir’s ab.«
»Das
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