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Die Tochter der Suendenheilerin

Die Tochter der Suendenheilerin

Titel: Die Tochter der Suendenheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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Versagen schon viel früher begonnen? Als er nachgegeben hatte und den Regensteinern nicht gefolgt war? Was wäre gewesen, wenn er nicht auf Alexander gehört hätte? Sondern sich mit Stephan an die Verfolgung der Entführer gemacht hätte? Hätte er es verhindern können? War letztlich nicht alles seine Schuld?
    Die Gedanken kreisten in ihm, verdrängten jede vernunftgemäße Überlegung. Immer tiefer rutschte er in unsinnige Schuldgefühle hinein. Er merkte es und vermochte nicht dagegen anzugehen.
    Wenn nichts anderes mehr hilft, hallten die Worte seiner Mutter in ihm nach, dann such Hilfe bei Gott und der Heiligen Jungfrau.
    Rudolfs Blick schweifte zur kleinen Kapelle hinüber. Um diese Stunde wäre sie ohne Besucher. Niemand würde ihn stören, wenn er die Muttergottes um Kraft und Erlösung anflehte. Aber selbst wenn er anderen Gläubigen begegnen sollte – wer konnte ihm schon seine Gebete untersagen?
    Er hatte die Kapelle bereits während der Pfingstmesse betreten. Anders als seine Familie verließen die Regensteiner ihre Burg auch während der hohen Feiertage nur höchst selten, und es oblag ihrem Kaplan, die Messe zu zelebrieren und sich um das Seelenheil der Burgbewohner zu kümmern.
    Pater Pius war in der Tat ein friedfertiger Mann, und Rudolf hatte sich gewundert, einen so aufrichtigen Seelenhirten auf Burg Regenstein anzutreffen. Allerdings fehlte dem Gottesmann die nötige Durchsetzungskraft, um den Grafen und seine Söhne auf den rechten Pfad zurückzuführen. Die heilige Messe schien vor allem für die Frauen und das Gesinde gelesen zu werden. Die Burgherren nahmen daran nur wie an einem Ritual teil, dem man aufgrund der Anstandsgesetze beiwohnte.
    Die Regensteiner Kapelle war wie so viele Räume der Burg unmittelbar in den Fels geschlagen. Mit dem schlichten Kreuz und der einfach gestalteten Madonna mutete sie geradezu altertümlich an. Ganz anders als die kleine Birkenfelder Kapelle, deren Heiligendarstellungen von großer Kunstfertigkeit zeugten. Doch was scherten Rudolf die Bilder? Sie waren nur Symbole eines Glaubens, der tief in der Brust der Menschen lebte. Oder aber dort erstarb. So wie es ihm gerade wieder einmal drohte.
    Voller Furcht und zugleich voller Vertrauen wandte er sich der Statue der Heiligen Jungfrau zu, beugte die Knie und betete um Unterstützung im Kampf gegen die Düsternis. Bat sie um Kraft im Glauben und um die Stärkung seiner Seele. Versenkte sich ganz in sein Gebet um Beistand und Geleit, denn nichts anderes blieb ihm sonst.
    Er spürte den harten Boden unter seinen Knien, dankbar, etwas zu fühlen, das ihm Halt gab. Immer tiefer versenkte er sich in sein Gebet, als wäre es das Seil, das ihn hielt und vor dem Abgrund bewahrte. Die Zeit verlor jede Bedeutung, er versuchte eins zu werden mit seinem Glauben, an das Licht zu denken, das die Muttergottes und der Heiland verhießen.
    Erst als er ein lautes Räuspern hörte, hielt er inne und wandte den Kopf, ohne sich zu erheben.
    Pater Pius stand hinter ihm.
    »Ihr betet schon seit Stunden«, sagte er. »Kann ich etwas für Euch tun?«
    Wortlos schüttelte Rudolf den Kopf. Welche Hilfe konnte ihm der Kaplan schon leisten?
    Doch Pius ließ sich nicht beirren. Er trat näher und kniete vor dem Standbild der Muttergottes neben Rudolf nieder.
    »Die Heilige Jungfrau hat für alles ein Ohr«, erklärte er. »Doch manchmal erweist es sich als hilfreich, seine Sorgen mit einem Menschen aus Fleisch und Blut zu teilen.«
    Rudolf schwieg weiterhin. Was sollte er dem Priester schon sagen? Dass die große Leere ihn zu übermannen drohte? Wie sinnlos ihm das Leben erschien? Pater Pius würde es nicht verstehen, ja schlimmer noch, vermutlich trüge er sein Wissen umgehend den Regensteinern zu.
    »Ihr wollt nicht sprechen?«
    »Ihr könnt mir nicht helfen, Pater. Das vermag kein Mensch.« Auf einmal wünschte Rudolf sich, dass der Geistliche verschwände, ihn nicht zwang, sich der Welt und den Menschen zuzuwenden. Doch der Pater blieb. Schweigend musterte er Rudolf.
    »Eure leibliche Mutter ist eine gebürtige von Ilfeld, habe ich recht?«, fragte er schließlich.
    Warum fing der Kaplan plötzlich mit seiner Mutter an?
    »So ist es«, bestätigte Rudolf in der Hoffnung, dass Pius dann zufrieden war und ihn allein ließ. Doch er irrte sich.
    »Es heißt, die Grafen von Ilfeld trügen einen Fluch mit sich herum, der sich durch die Generationen zieht«, fuhr der Priester fort. »Ihr kennt gewiss die Legende des ersten Grafen von Ilfeld,

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