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Die Tochter der Suendenheilerin

Die Tochter der Suendenheilerin

Titel: Die Tochter der Suendenheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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angebrochen.«
    Rudolf schluckte. »Was werdet Ihr nun mit Eurem Wissen anfangen?«
    »Ihr seht mich an, als würdet Ihr befürchten, dass ich es gegen Euch verwende.«
    »Ist der Gedanke so abwegig?«
    »Das ist er, mein Sohn. Ich bin hier, um mich um das Seelenheil der Bewohner dieser Burg zu kümmern. Ihr gehört dazu ebenso wie Eure Schwester, auch wenn Ihr derzeit nicht freiwillig hier weilt.«
    Als sie plötzlich ein Geräusch vernahmen, fuhren Rudolf und der Priester herum. Sibylla stand auf der Türschwelle der Kapelle. Ihr Gesicht zeigte einen seltsamen Ausdruck, den Rudolf kaum zu deuten wusste, eine Mischung aus Trauer und dem tiefen Ernst, der die junge Frau für gewöhnlich umgab.
    Er erhob sich.
    »Fräulein Sibylla«, sagte er leise, »habt Ihr schon lange zugehört?«
    Sie senkte den Blick. »Verzeiht, ich wollte Euch nicht belauschen, aber die Geschichte des Paters zog mich in ihren Bann.«
    Rudolf hatte das Gefühl, alle Kraft verlasse seinen Körper. Sibylla hatte von seinem Geheimnis erfahren. Was mochte sie von ihm denken? Obwohl – hatte das überhaupt noch eine Bedeutung? Sie war eine Regensteinerin, zwischen ihnen lag ein Abgrund, den keine Macht der Erde zu überbrücken vermochte. Vielleicht war es besser, wenn sie ihm die Verachtung entgegenbrachte, die er verdiente.
    Die Stille in der Kapelle wurde bleischwer.
    »Sagt, Pater«, wandte Sibylla sich schließlich an den Geistlichen, »kann ich ihm in irgendeiner Weise helfen?«
    »Ihr habt schon genug getan«, kam Rudolf der Antwort des Priesters zuvor. »Vergesst einfach, was Ihr gehört habt!«
    Sie hielt seinem Blick mit erstaunlicher Offenheit stand. »Ich möchte es aber nicht vergessen, Herr Rudolf. Denn ganz offenbar war es mir bestimmt, hier und heute von Eurem Schicksal zu erfahren. Warum sonst hätte die Heilige Jungfrau mir den Wunsch eingeben sollen, ihr Standbild mit frischen Blumen zu schmücken?« Sie hob die Hand mit dem Sträußchen aus Mohnblüten und Heckenrosen.
    Er konnte die Freundlichkeit und Fürsorge in ihrem Blick kaum ertragen. Und doch kamen sie ihm wie ein Lichtfunken vor. Ihm war unbehaglich zumute, aber dieses Gefühl war immer noch besser als jene schreckliche Taubheit, wenn ihm alles sinnlos erschien, er nichts mehr wahrnahm. Vermutlich erwartete sie eine Erwiderung, doch ihm fehlten die Worte, und er war zu keiner Erklärung fähig.
    In diesem Augenblick trat Meret hinter Sibylla in die kleine Kapelle. Als sie ihren Bruder entdeckte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Zwar hatte sie nicht die Gabe ihrer Mutter, die Seelenflamme zu erkennen, aber sie hatte schon einmal beobachtet, wie die Dunkelheit ihn verschlang. Am liebsten wäre Rudolf ihrem Blick ausgewichen, hätte sich unsichtbar gemacht. Doch er wusste, dass es vergebens war. Meret mochte erst elf sein, aber sie war für ihr Alter nicht nur sehr verständig, sondern zeitweilig auch ein wenig altklug. Sie ging an Sibylla vorbei und griff nach seiner Hand »Du hast heute bestimmt noch nichts gegessen, oder?«, fragte sie.
    Essen? Daran hatte er bisher am allerwenigsten gedacht.
    »Komm!« Meret zog ihn mit sich zur Tür der Kapelle. »In der Burgküche gibt es die Reste des Bratens von gestern.«
    »Ein guter Vorschlag!«, pflichtete Pater Pius bei. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, begleite ich Euch, denn ich habe heute auch noch nicht gespeist.«
    »Ich komme nach, sobald ich die Muttergottes geschmückt habe.« Sibylla lächelte Rudolf zu, während Meret ihn einfach mit sich fortzog. Rudolf seufzte, leistete jedoch keinen Widerstand. Vermutlich erinnerte Meret sich daran, wie ihre Mutter ihn stets genötigt hatte, in seinen schlechten Zeiten am alltäglichen Leben teilzunehmen – ob er wollte oder nicht.
    Die Burgküche lag am anderen Ende des inneren Hofs, weit genug von den Wohngebäuden entfernt, damit der stets gut befeuerte Ofen keinen Brand auslösen konnte. Der Duft von frischem Brot hing in der Luft, und zu seiner großen Verwunderung knurrte Rudolf tatsächlich der Magen. Er beschloss, dies als gutes Zeichen zu nehmen. Vielleicht hatte die Muttergottes seine Gebete erhört. Womöglich gelang es ihm, der Schwermut doch noch zu entrinnen.
    Die Küche von Burg Regenstein war etwa doppelt so groß wie die auf Burg Birkenfeld. Neben dem gemauerten Ofen, der draußen vor dem Küchengebäude stand, gab es zwei große Herdstellen, über denen mächtige Kessel und ein Bratspieß hingen. Der Bratspieß war groß genug, um einen ganzen Ochsen zu drehen.

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