Die Tochter der Suendenheilerin
friedlich unter dem Tisch geruht hatte, streckte den Kopf mit leisem Grollen über die Tafel und bettelte Sachmet um einen Fleischbrocken an.
Sachmet stieß einige scharfe ägyptische Worte aus, und Nebet zog sich zurück.
»Diese Gepardin ist das verwöhnteste Raubtier, das mir je begegnet ist«, seufzte Karim. »Für den Weg über die schneebedeckten Alpenpässe hatte Sachmet ihr sogar einen Umhang und kleine Lederschuhe genäht.«
Antonia kicherte. »Ist das wahr?«
»Nebet ist ein kostbares Tier, und sie ist Schnee nicht gewöhnt.« Sachmet tätschelte den Kopf der Gepardin unter dem Tisch und warf Karim einen herausfordernden Blick zu. »Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich am heftigsten über die Kälte beklagt. So laut, dass Donatus nicht mehr an deiner Seite reiten mochte.«
Donatus grinste. »Vielleicht wollte Karim damit nur sagen, dass du auch ihm ein Paar Lederschuhe hättest nähen sollen.«
»Ich bin nicht seine Mutter.«
»Aber die von Nebet?« Donatus zwinkerte ihr zu.
Sachmet nickte. »Ich habe Nebet aufgezogen. Sie begleitet mich seit sieben Jahren auf Schritt und Tritt. In unserer Familie werden seit Generationen Geparde wie anderswo Jagdhunde gehalten.«
»Und anscheinend gehorcht sie auch so gut wie ein Jagdhund«, stellte Philip fest. »Ganz im Gegensatz zu Lenas und Antonias Schoßhunden, die sich stets wie ungezogene kleine Kinder gebärden.«
Antonia und ihre Mutter lachten.
»Ihr habt jetzt einiges über uns erfahren«, meinte Karim nach einer Weile. »Wie steht es bei euch? Mir fällt auf, dass zwei Familienmitglieder fehlen, von denen ihr uns oft geschrieben habt.«
»Du meinst Meret und Rudolf?«, fragte Philip. Karim nickte.
Antonias Vater holte tief Luft. »Das ist in der Tat eine unerfreuliche Geschichte. Ihr seid zu einer Zeit gekommen, da eine Fehde mit unseren Nachbarn bevorsteht.«
»Eine Fehde?« Donatus runzelte die Stirn. »Das heißt, ihr braucht kampfstarke Unterstützung.«
»Keine Sorge, wir ziehen euch nicht in unsere Händel hinein.«
»Ich sorge mich nicht«, widersprach Donatus. »Ich betrachte es als meine Pflicht, dir beizustehen.«
»Genau wie ich«, fügte Karim hinzu. »Erzähl uns von der Fehde!«
14. Kapitel
D er Morgen begann mit strahlendem Sonnenschein, doch Rudolf hatte keinen Blick dafür. Die innere Leere, die er seit Tagen fürchtete, breitete sich in ihm aus. Die Dunkelheit, die ihn in ein schwarzes Loch zerrte, ihm alle Kraft raubte, jeden Mut und jede Zuversicht. Noch kämpfte er. Wusste er doch, dass dies ein Ausdruck seines fehlenden Gleichmaßes war. Doch wenn er weiter hinabglitt, würde er auch dieses Wissen verlieren, zum hilflosen Spielball werden. Des Lebens überdrüssig …
Mit Mühe erhob er sich von seinem Lager. Meret war bereits aufgestanden. Im Stillen dankte er Sibylla, dass sie sich um seine Schwester kümmerte. So konnte er vor Meret weiterhin verbergen, wie es tatsächlich um ihn stand. Er wollte sie nicht beunruhigen. Das kühle Wasser aus der Waschschüssel half ihm, die innere Trägheit zu überwinden.
Versuch dir alles ins Gedächtnis zu rufen, wofür es zu leben lohnt, hatte seine Mutter ihn gelehrt. Die Dunkelheit hat keine Macht über dich, wenn du Gott vertraust.
Er atmete tief durch. Wäre es nur so einfach gewesen! Nun gut, er wusste, es würde vorübergehen. So wie immer. Nichts währte ewig. Er straffte sich innerlich und verließ die Kammer. Vielleicht half ihm die Frühsommersonne, die Gemütsschwere zu überwinden. Er stieg die Stufen des Turms hinab, verhielt kurz vor der Tür von Sibyllas Kemenate und hörte seine Schwester lachen. Immerhin eine Sorge, die ihm genommen war.
An der Wachstube hielt er ein zweites Mal inne.
»Ich gehe im Burghof auf und ab!«, rief er. Ein kurzes Nicken war die einzige Antwort. Schon tags zuvor hatte er bemerkt, dass er den Waffenknechten gleichgültig war. Ob sie ahnten, dass er keine Kraft mehr besaß?
Der strahlend blaue Himmel und die warme Luft verschafften ihm nicht die Erleichterung, die er sich erhofft hatte. Wem nutzte das schönste Wetter, wenn eine Fehde drohte? Hätte er sie verhindern können? Wenn er so besonnen wie Alexander geblieben wäre? Was wäre wohl geschehen, wenn die Regensteiner nur Meret und nicht auch ihn in ihre Gewalt gebracht hätten? Wären sie dann leichter zum Nachgeben bereit gewesen? Weil es keinen Ruhm einbrachte, ein Kind festzuhalten? Hatte er womöglich alles schlimmer gemacht, als es war? Oder hatte sein
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