Die Tochter der Suendenheilerin
der einen Pakt mit dem Teufel schloss.«
Rudolf hob erstaunt den Blick. Von einer derartigen Legende hatte er nie gehört. Seine leibliche Mutter sah er selten, sie lebte zurückgezogen im Kloster Sankt Michaelis und gab sich ganz und gar ihrem zweiten Leben als Ordensfrau hin. Und Lena hatte niemals irgendwelche Teufelspakte erwähnt.
Pius deutete Rudolfs Blick richtig. »Ihr kennt sie nicht?«
»Nein.«
»Soll ich sie Euch erzählen?«
»Wozu? Glaubt Ihr, Teufelsmärchen über meine Vorfahren könnten mir helfen?«
»Ja nun, vielleicht bringt es Euch weiter, wenn Ihr erfahrt, was sich die Bauern in Ilfeld über die Familie Eurer leiblichen Mutter erzählen.«
Rudolf schwieg. Er wollte nichts hören, aber er hatte nicht die Kraft, den Priester fortzuschicken. Der wertete sein Schweigen als Zustimmung.
»Es heißt, der erste Graf von Ilfeld lebte vor vielen Hundert Jahren im Hader mit seinem Nachbarn, dem Grafen von Stolberg. Die beiden stritten sich über mancherlei, doch stets obsiegte der Graf von Stolberg, denn er war vom Glück gesegnet. Da erschien eines Tages der Leibhaftige auf der Burg des Ilfelders und bot ihm einen Pakt an. Von nun an könne der Ilfelder all das Glück, welches ihm Gott der Herr am Tage der Geburt in die Wiege gelegt hatte, selbst herbeibefehlen und müsse dies nicht länger den Engeln überlassen. Doch zugleich warnte der Teufel. Der Ilfelder müsse sorgsam darauf achten, nicht zu viel auf einmal zu beanspruchen, denn sonst müsse er die Tage des Glücks mit Tagen tiefster Verzweiflung bezahlen. Der Graf von Ilfeld war sich unsicher, denn mit dem Bösen treibt man keinen Handel, und seine Seele wollte er dem Satan keinesfalls verschreiben. Doch der versprach, dass es ihm nicht um die Seele gehe, sondern nur um die Freiheit des Menschen, allein über die Gottesgaben zu herrschen. Und so stimmte der Graf von Ilfeld zu. Zunächst hielt der Teufel Wort, und der alte Ilfelder hatte mehr Glück, gewann mehr Stärke und Zuversicht, als es für einen einzelnen Mann gut ist. Was er auch anpackte, glückte ihm. Er besiegte den Grafen von Stolberg im Turnier und erlangte sogar die Hand von dessen Schwester, die er lange vergebens begehrt hatte. Doch dann kamen die Tage, da er den Preis zu zahlen hatte. Sein ganzes Glück und seine Zuversicht waren für das Jahr aufgebraucht, und er fiel in tiefste Verzweiflung. Nichts glückte mehr, die Menschen wandten sich von ihm ab, und das Leben erschien ihm sinnlos. In dieser Düsternis wurde er des Lebens überdrüssig. Der Satan aber frohlockte, denn Selbstmörder fielen ihm sofort anheim, und so lauerte er darauf, wann er ernten konnte, was er gesät hatte. Doch er hatte nicht mit der Liebe der Gattin des Ilfelders gerechnet. Sie verhinderte, dass der Graf dem Überdruss des Lebens nachgab, und betete zur Heiligen Jungfrau um Vergebung. Und tatsächlich zeigte die Muttergottes Erbarmen, doch sie konnte den Pakt mit dem Satan nicht ungeschehen machen, sie konnte ihn nur abmildern. Seither ist es den Nachkommen des Grafen von Ilfeld bestimmt, zwischen Zeiten großer Freude und tiefen Leids zu schwanken, zur Warnung für alle, sich nicht mit den Mächten der Hölle einzulassen. In ihren guten Zeiten kann niemand die Grafen von Ilfeld besiegen, doch in den dunklen Tagen durchleben sie die Hölle auf Erden.«
»Ein bemerkenswertes Märchen, Pater. Doch warum habt Ihr es mir erzählt?«
»Es mag nur eine Legende sein, eine einfache Geschichte, die sich die Bauern erzählen, um zu verstehen, was anders nicht zu begreifen ist. Und doch liegt ein Körnchen Wahrheit darin. Die Grafen von Ilfeld sind bekannt dafür, dass ihnen das Gleichmaß fehlt. Auf Tage des Glücks und der Zuversicht folgt bei ihnen stets die Verzweiflung. Bislang traf der Fluch in jeder Generation wenigstens ein Mitglied der Familie. Ich weiß, wovon ich spreche, Herr Rudolf, denn ich kenne den jüngsten Bruder des derzeitigen Grafen von Ilfeld. Er ist ein bemerkenswerter junger Priester, der in seinen guten Zeiten der beste Hirte für seine Herde ist. Doch in den dunklen Tagen ringt er mit dem Satan, der ihn zu sich in die Hölle zerren will und ihn verlockt, der Qual des Lebens zu entsagen. In solchen Zeiten will der sonst so menschenfreundliche Priester niemanden sehen. Er schließt sich in der Kapelle ein und gibt sich Bußübungen hin. Ihr habt mich an ihn erinnert, als ich Euch so sah, stundenlang ins Gebet vertieft. Auch Ihr tragt dieses Erbe in Euch, und die dunklen Tage sind
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