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Die Tochter der Suendenheilerin

Die Tochter der Suendenheilerin

Titel: Die Tochter der Suendenheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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Über das Essen konnten Rudolf und Meret nicht klagen – tags zuvor hatten sie großzügige Stücke vom Pfingstochsen erhalten. In der Küche standen drei Tische. Pater Pius schritt geradewegs auf den in der Nähe des größten Herdfeuers zu und winkte Rudolf und Meret, ihm zu folgen. Die Mägde kamen sogleich und trugen ihnen Brot und Fleisch auf. Dazu noch einen Krug Wein und einen mit Milch. Meret füllte ihren Becher mit Milch. Rudolf zögerte, doch der Pater kam ihm zuvor und schenkte ihm von dem Wein ein.
    »Es heißt, der Geist des Weins vertreibe alle Schwermut«, sagte er mit gutmütigem Lächeln. Rudolf zögerte. Seine Erfahrungen waren andere. Anfangs hatte er es versucht, aber außer einem mächtigen Kater am nächsten Tag, der sein Elend nur verstärkte, nicht das Geringste gewonnen. Nun gut, ein Becher würde nicht schaden, und er wollte dem Pater durchaus gefällig sein.
    Es war nicht der gute italienische Wein, den Eberhard ihm am ersten Abend aufgenötigt hatte, sondern ein einfacher Holunderwein, aber er schmeckte Rudolf besser als der kostbare Südländer. Vertrauter. Nach Heimat.
    Er hatte seinen Becher gerade wieder abgestellt, da erschien Sibylla. In ihren Augen stand noch immer das Lächeln, das sie ihm geschenkt hatte, bevor sie sich der Muttergottes zugewandt hatte. Zielsicher trat sie auf den Tisch zu und nahm Rudolf gegenüber Platz. Rudolf bemerkte die Blicke der Mägde. Dass der Pater hier speiste, schien üblich, und auch die Geiseln wurden regelmäßig in der Burgküche verköstigt. Aber die Enkelin des Grafen verirrte sich für gewöhnlich wohl nicht hierher. Jedenfalls nicht zum Essen.
    »Magdalena, bring mir auch etwas von dem Braten!«, verlangte Sibylla.
    »Aber Fräulein Sibylla, haltet Ihr das für schicklich? Ich dachte, Ihr würdet heute Abend an der gräflichen Tafel speisen.«
    Sibylla antwortete nicht, ein strenger Blick genügte, und die Magd tat, was ihr geheißen.
    Rudolf bemühte sich, Sibylla möglichst nicht anzusehen. Das Gefühl der Scham über seine entdeckte Schwäche war kaum erträglich. So widmete er sich dem Fleisch auf seinem Holzbrett und zwang sich, Bissen für Bissen zu kauen, so gleichmütig, als wäre nichts geschehen.
    »Du hättest es mir sagen müssen«, meinte Meret nach einer Weile.
    »Es gab nichts zu sagen«, antwortete Rudolf.
    Meret seufzte.
    Eine Weile herrschte Schweigen. Die Schwere, die auf Rudolfs Seele lastete, schien sich auf die gesamte Tischgesellschaft übertragen zu haben.
    »Erlaubt Ihr mir eine Frage, Herr Rudolf?«
    Rudolf hob erstaunt den Kopf. So scheu hatte Sibylla ihn bislang nie angesprochen.
    »Selbstverständlich«, antwortete er aus reiner Höflichkeit, obwohl er viel lieber geschwiegen hätte.
    »Ihr wisst, dass ich die Erzählung des Paters mit angehört habe. In der Legende hieß es, auf die Tage des Glücks folgten die Tage der Verzweiflung. Aber Euch war in den vergangenen Tagen doch gar kein so großes Glück beschieden.«
    Rudolf holte tief Luft. »Es ist eine Legende, Fräulein Sibylla. Die Wirklichkeit sieht anders aus.«
    »Und wie sieht sie aus?«
    »Der Pater wird es Euch gewiss gern erzählen. Ihr habt doch gehört, dass er einen meiner entfernten Verwandten kennt.«
    »Habe ich Euch gekränkt?«
    Er sah die Traurigkeit in ihren Augen.
    »Nein. Aber …« Er räusperte sich. »Es … fällt mir schwer, darüber zu sprechen.«
    »Das ist das sicherste Zeichen«, bemerkte Meret. »Wenn Rudolf immer einsilbiger wird, geht es ihm schlecht. Und wenn wir gar nicht mehr zu Wort kommen, dann verbrennt ihn das Feuer der Zuversicht.«
    »Dir könnte es auch nicht schaden, einmal den Mund zu halten!«, fuhr Rudolf seine Schwester heftiger an als beabsichtigt.
    »Verzeih!«, entschuldigte sie sich. »Aber so ist es doch.«
    Bevor jemand etwas sagen konnte, wurde die Tür zum Küchenhaus aufgerissen. Es war Meinolf von Brack. Er sah erhitzt aus, und seine Kleidung war staubig wie nach einem langen Ritt.
    »Was ist das denn für eine seltsame Versammlung?«, rief er. »Sibylla, was hast du hier verloren? Es ist unangemessen für eine Frau deines Standes, in der Küche zu speisen.«
    Sie hielt dem Blick ihres Onkels stand. »Unangemessen vielleicht, aber keinesfalls unschicklich, da es unter den Augen des ehrwürdigen Paters geschieht.«
    Sofort wandte Meinolf sich an Pater Pius. »Ihr hättet sie daran hindern müssen. Ihr wisst, wo der Platz eines sittsamen Weibes ist.«
    »Ich sehe nichts Verwerfliches darin, wenn sich

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