Die Tochter der Suendenheilerin
ein sittsames Weib in der Nähe ihres Herds aufhält«, entgegnete Pius.
Meret kicherte.
Meinolfs Blick richtete sich auf Rudolf.
»Möchtet Ihr gern wissen, wo ich gerade war, Herr Rudolf?«
»Eure Angelegenheiten kümmern mich nicht«, entgegnete Rudolf und nahm noch einen Schluck Holunderwein.
»Auch nicht, wenn sie zu den Euren werden könnten? Oder besser gesagt – zu denen Eurer Familie?«
Hätte ihn die Schwermut nicht gefangen gehalten, wäre er mit einer passenden Antwort auf die anmaßende Frage eingegangen. So aber schüttelte er nur den Kopf.
»Wirklich nicht?« Meinolf lächelte böse. »Nun, ich fürchte, Ihr werdet nicht umhinkönnen, am Schicksal Eurer Familie Anteil zu nehmen. Vor allem, wenn Euer Ziehvater und seine ägyptische Sippschaft wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen landen.«
Meret sog erschrocken die Luft ein, doch Rudolf spürte die Spitze kaum, zu fest hatte sich der Mantel der Gleichgültigkeit um seine Schultern gelegt. Und so schwieg er weiterhin.
»Ihr wisst natürlich noch nicht, dass Euer Vater eine Horde ägyptischer Heiden in seiner Burg beherbergt«, fuhr Meinolf fort.
»Besuch aus Ägypten?«, fragte Meret aufgeregt.
»So ist es«, bestätigte Meinolf. »Lauter Ungläubige aus dem Morgenland. Und ich habe dafür gesorgt, dass der Bischof davon erfährt. Er wird deinem Vater einen eigenen Kaplan auf die Burg schicken, der sich ein Bild von der Frömmigkeit ihrer Bewohner machen soll. Und wenn ich recht behalte, dann wird er dort auf allerlei heidnisches Brauchtum stoßen, das die Kirche nicht dulden kann.«
»Das ist nicht wahr!«, rief Meret. »Mein Vater ist kein Heide! Er ist ein besserer Christ als Ihr. Und unsere Verwandten aus Ägypten sind allesamt fromme Menschen.«
»Dann haben sie ja nichts zu befürchten.« Ein teuflisches Grinsen breitete sich auf Meinolfs Gesicht aus. »Und falls sie doch der Ketzerei überführt werden, bitte ich meinen Vater, den Grafen, dass du zusehen darfst, wenn sie auf dem Scheiterhaufen brennen.«
»Nein!«, schrie Meret und umklammerte Rudolfs Schultern. Doch der hatte nicht die Kraft, Meinolfs Bösartigkeit zu trotzen.
»Dein Bruder hat wohl erkannt, dass ich recht habe. Sonst würde er nicht so betrübt vor sich hin starren, nicht wahr?«
Es waren Merets verzweifelte Blicke, die Rudolfs gefühllosen Panzer für kurze Zeit durchbrachen.
»Das ist nicht der Grund«, zwang er sich zu antworten. »Ich mache mir viel mehr Sorgen um Euer Seelenheil, Herr Meinolf. Es ist eine schwere Sünde, falsches Zeugnis gegen seinen Nächsten abzulegen.«
»Um mein Seelenheil braucht Ihr Euch nicht zu kümmern. Denn Ihr wisst so gut wie ich, dass die Sippschaft Eures Ziehvaters aus lauter Heiden besteht, die es mit den göttlichen Geboten nicht ernst nehmen. Und dafür werden sie brennen.«
»Dann brennt Euer Vater mit!«, rief Meret erbost. »Denn es heißt auch: Du sollst nicht ehebrechen .«
Statt einer Antwort gab Meinolf ihr eine Ohrfeige. Im nächsten Augenblick ergriff die helle Flamme des Zorns von Rudolf Besitz und verdrängte das qualvolle Zaudern. Er sprang auf und verpasste Meinolf einen heftigen Faustschlag ins Gesicht.
»Niemand rührt meine Schwester an!«
Meinolf taumelte einige Schritte zurück und rieb sich das Kinn. »Das wirst du mir büßen!«
»Schluss damit!«, rief Pater Pius. »Herr Meinolf, es reicht. Ihr habt geerntet, was Ihr gesät habt.«
»Was maßt du dir an, Pfaffe? Ich dulde nicht, dass mich jemand auf meines Vaters Burg angreift. Dafür landet er im Kerker.«
»Nein!«, mischte sich nun auch Sibylla ein. »Nicht du bestimmst auf Burg Regenstein, sondern mein Großvater und mein Vater, sein rechtmäßiger Erbe. Und mein Vater ist sicher erbost, wenn er hört, dass du seine Geisel misshandelt hast.«
»Nimm dich in Acht, Sibylla!«, zischte Meinolf. »Nimm dich nur in Acht!« Dann verließ er die Küche.
Rudolf spürte, wie Meret scheu nach seiner Hand griff. »Wie geht es dir?«, flüsterte sie.
»Etwas besser, Schwesterchen.« Er strich ihr durchs Haar. Der kurze Zorn hatte die Dunkelheit für eine Weile verdrängt, doch Rudolf wusste, dass die Pein noch nicht überwunden war.
15. Kapitel
B lut rinnt ihm über das Gesicht, als wäre es Wasser. Doch er fühlt keinen Schmerz. Alles in ihm ist taub, jedes Gefühl gestorben. Er hat das Schrecklichste getan. Musste es tun, hatte keine Wahl … Belüg dich nicht! Du hättest es aushalten können, doch du hattest nicht genügend
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