Die Tochter der Suendenheilerin
A m späten Nachmittag erreichte Hugo vom Waldsee Burg
Birkenfeld. Im Gegensatz zu manch anderem Geistlichen hatte er sich nicht gescheut, den weiten Ritt von seinem Kloster hierher allein auf sich zu nehmen. Vermutlich wähnte er sich unter dem Schutz des Allmächtigen, aber vielleicht vertraute er a uch nur darauf, dass er kein lohnendes Opfer für Räuber darstellte. Sein Maultier war mager und struppig, und seine eigene hagere Gestalt strahlte eine eigentümliche Düsternis aus, die durch die dunkle Kutte noch verstärkt wurde.
»Den vertreibt karge Kost aus altem Brot und Heringen bestimmt nicht«, raunte Donatus Antonia zu, während sie beide von der Mauer des oberen Burghofs in den Hof der Vorburg spähten und die Ankunft ihres neuen Kaplans beobachteten.
Antonias Vater schritt dem Benediktiner entgegen und begrüßte ihn. Er trug ein gewinnendes Lächeln zur Schau, doch Hugo verzog keine Miene. Zum Leidwesen von Donatus und Antonia befanden sich die beiden Männer zu weit entfernt, als dass sie den Wortlaut des Gesprächs verstanden.
»Ich fürchte, wir müssen den Mann Gottes ebenfalls begrüßen«, seufzte Antonia. »Vater wird ihn gewiss in den Kaminsaal führen.« Sie stiegen vom Wehrgang in den Hof hinunter und kehrten in die Burg zurück. Antonias Mutter saß bereits vor dem erloschenen Kamin, eine Stickerei auf dem Schoß, während Alexander unruhig auf und ab ging und dabei immer wieder Bertram und Christian über die Schulter sah, die in eine Partie Schach vertieft waren.
»Ah, ihr seid da, das ist gut!«, rief Lena, als sie Antonia und Donatus hereinkommen sah. »Dein Vater ist soeben Pater Hugo entgegengegangen, um ihn zu begrüßen.«
»Wir haben es vom Wehrgang aus gesehen«, bestätigte Antonia.
»Wärt ihr so lieb, Karim und Sachmet zu holen?«, bat ihre Mutter.
»Ich bin schon unterwegs!«, rief Donatus und verschwand.
Antonia trat neben ihre Mutter und begutachtete die Stickerei.
»Rote Rosen?«
Lena nickte. »Die Rose ist die Königin der Blumen. Voller Stolz, durch ihre Dornen scheinbar unnahbar, und doch lieblich in ihrem Duft. Zudem recht anspruchsvoll als Motiv.«
Antonia zog einen Stuhl heran und setzte sich. Dabei bemerkte sie, wie Christian von seinem Schachspiel aufblickte und sie musterte. Rasch senkte sie die Lider und wandte sich ab. Christian schien nur allzu gut zu wissen, dass ihre Mutter ihn gern als Schwiegersohn gesehen hätte.
Die Tür ging auf. Antonia zuckte zusammen, doch es waren nicht ihr Vater und der neue Kaplan, sondern Donatus kehrte mit Karim und Sachmet zurück. Natürlich folgte Nebet ihrer Herrin auf dem Fuß. Was würde der Kaplan wohl zu der großen Raubkatze sagen? Sachmet setzte sich zu Antonia und ihrer Mutter, während Nebet sich zu ihren Füßen niederließ.
»Jetzt kommt also dieser gestrenge Gottesmann?«, raunte sie Antonia zu. »Ich bin gespannt.«
»Sieh zu, dass du keine Fehler begehst!«, flüsterte Antonia zurück.
Sachmet tätschelte Nebet den Kopf. Die Gepardin schnurrte so laut, dass Lena von ihrer Stickerei aufsah.
»Manchmal könnte man sie wirklich für eine zu groß geratene Hauskatze halten.«
»Du hast sie noch nie jagen sehen.« Sachmets Augen leuchteten. »Sie holt eine Gazelle in vollem Lauf ein und bringt sie zu Boden. Kein Tier ist so schnell wie Nebet.«
Es verging noch eine ganze Weile, bis Antonias Vater mit dem Kaplan erschien. Alexander wanderte weiterhin ungeduldig auf und ab, Donatus und Karim unterhielten sich leise, während Sachmet ihre Gepardin kraulte, die sich genüsslich auf den Rücken drehte und den Bauch darbot.
»Jetzt will sie wieder gekitzelt werden.« Sachmet zwinkerte Antonia zu. »Dieses Tier ist einfach unersättlich.«
Von draußen hörten sie erneut Schritte. Ein Knecht öffnete die Tür, dann trat Antonias Vater ein, gefolgt von Hugo vom Waldsee. Antonia durchschaute sofort die Geste – der Graf ließ sich alle Türen öffnen und nahm für sich den Vortritt in Anspruch. Der Kaplan mochte im Auftrag des Bischofs gekommen sein, doch der Herr im Haus war Graf Philip von Birkenfeld, und es war eine besondere Ehre, dass er sich des Geistlichen höchstselbst annahm.
Antonia wollte aufstehen, um den Gast zu begrüßen, doch Lena hielt sie unauffällig am Handgelenk fest, damit sie sitzen blieb. Sachmet folgte ihrem Beispiel. Nur die Männer erhoben sich.
Antonia begriff, dass in Gegenwart des Geistlichen jede Geste eine Bedeutung hatte. Eine Gräfin begrüßte einen männlichen Gast
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