Die Tochter der Suendenheilerin
Mal gestorben.
20. Kapitel
D u musst deine Gedanken auf dein Innerstes lenken. Blick in diese Kugel, und sie wird deine Gedanken zu dir zurückwerfen.«
Antonia und Sachmet saßen in der Kammer der jungen Ägypterin auf dem Boden. Sachmet hatte mehrere seltsam anmutende Figuren aufgestellt. Menschen mit Tierköpfen. Sie waren rings um eine faustgroße Kugel aus klarem Bergkristall aufgereiht.
»Wer die Gabe erwecken will, muss sich von fremden Gedanken befreien«, erklärte Sachmet. »Bleibe ganz bei dir und verbanne alles aus deinem Geist, was Gefühle in dir auslösen könnte. Gefühle können dich betrügen, denn dann siehst du nur, was du sehen willst, aber nicht das, was wirklich ist.«
Antonia starrte in die Kristallkugel, doch ihr Geist konnte sich nicht von den Gedanken befreien. Sie musste immer wieder an Stephan denken. Sah ihn, wie er sein Pferd striegelte, wie er ihm zärtliche Worte ins Ohr flüsterte. Und je entschlossener sie dagegen ankämpfte, umso deutlicher wurden die Bilder.
Schon wollte sie einwenden, dass sie heute wohl nicht in der rechten Verfassung für diese Übung sei, als es klopfte. Gleich darauf öffnete sich die Tür, und Karim trat ein.
»Oh, gibst du dich wieder der ägyptischen Magie hin?« Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
»Du hättest warten können, bis ich dich hereinbitte«, zischte Sachmet und raffte die Figuren zusammen.
»Verzeih, du hast recht. Aber ich bin so wütend, ich muss einfach mit dir reden, Sachmet.«
»Wütend auf mich?«
»Natürlich nicht. Auf diesen … Stephan!« Er stieß den Namen zwischen den Zähnen hervor.
Antonia horchte auf. »Was hat er dir getan?«, fragte sie.
Karim setzte sich zu den beiden jungen Frauen auf den Boden.
»Er kam mir unvermittelt mit seinem Pferd am Halfter entgegen und machte ein Gesicht, als würde er mich am liebsten von oben bis unten aufschlitzen. Dann drückte er mir den Führstrick in die Hand und sagte, das Tier gehöre mir. Keine weitere Erklärung, gar nichts.«
»Und darüber bist du wütend?« Sachmet schüttelte den Kopf. »Sei doch froh, dass er dir das Pferd zurückgegeben hat.«
»Das wollte ich gar nicht und habe ihm gesagt, er solle es behalten. Da hat er mich angegiftet, von mir nehme er keine Almosen, und drohte mir Schläge an.«
Sachmet lachte. »Das hätte ich gern miterlebt.«
Karim überhörte die Bemerkung und schüttelte den Kopf. »Dieser Mann ist ein unberechenbares Raubtier. Ich habe ihm nie etwas getan, im Gegenteil, ich wollte ihm helfen. Aber er tritt mir ständig wie ein Feind entgegen. Selbst die Rückgabe des Pferds münzte er in eine Beleidigung um.«
»Karim«, sagte Antonia leise, »der Hengst war sein einziger Besitz, und er hat ihn sehr geliebt. Er wird sich auf absehbare Zeit kein eigenes Pferd mehr leisten können. Wir drei, wir bekommen immer alles, was wir uns wünschen, weil unsere Eltern reich sind. Stephan ist der jüngste von sechs Söhnen einer Familie, die außer ihrem guten Namen nichts besitzt. Sein Vater konnte nur den beiden Ältesten eine Ausbildung zum Ritter ermöglichen. Deshalb schlossen sich Stephan und sein Bruder dem Kreuzzug an. Sie waren jung und hofften, Ruhm, Ehre und Reichtum zu erringen. Stephan kehrte allein zurück, sein Bruder war tot. Er hat nie darüber gesprochen, wie Thomas starb. Mein Vater glaubt, dass du Thomas bestattet hast – den zweiten Franken.«
»Das ist bedauerlich und tut mir leid für ihn, aber ich bin nicht schuld an seinem Schicksal. Außerdem habe ich das Pferd nie zurückverlangt.«
»Aber du hast ihn unmissverständlich darauf hingewiesen, dass er es dir gestohlen hat«, bemerkte Sachmet spitz.
»Hat er ja auch.«
»Also wolltest du es zurückhaben.«
»Nein, ich wollte, dass er sich mir erklärt.«
»Dass er sich rechtfertigt?«, fragte Antonia.
»Vielleicht. Ja, bestimmt sogar. Ich habe keine gute Meinung von den Kreuzrittern. Und sein Verhalten hat meine Einstellung nur bestätigt. Dann sah ich ihn ausgerechnet hier. Als einen Mann, dem dein Vater vertraut. Natürlich wollte ich wissen, warum er mich bestohlen hat, obwohl ich ihm Hilfe anbot.«
»Und du glaubst, er erzählt es ausgerechnet dir, während nicht einmal seine Familie Bescheid weiß?«, fragte Antonia. »Nachdem du bekannt gemacht hast, dass er dir das Pferd damals gestohlen hat, gab es für ihn nur zwei Möglichkeiten, die Ehre zu bewahren. Sich zu erklären oder dir das Pferd zurückzugeben.«
»Aber ich habe ihm doch
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