Die Tochter der Suendenheilerin
wie ein Betrunkener, der sich für einen Löwen hält?«
»Der Vergleich trifft durchaus zu«, räumte Rudolf ein.
»Und wie oft geschieht es?«
»Das letzte Mal liegt zwei Jahre zurück.«
»Und wie bist du zu zügeln, damit du keine Torheiten begehst? Müsste ich den Schürhaken schwingen?« Ein verschmitztes Lächeln umspielte ihre Lippen.
»Nein, das nicht. Im Allgemeinen lasse ich mir gut zureden. Aber ich erhebe heftige Widerrede, und meine Familie behauptet, mein Wesen sei in jenen Tagen schwer zu ertragen.«
»Aber dennoch steht sie zu dir, liebt und schätzt dich.«
»Ja.«
»Dann kann der Makel so groß nicht sein.«
»Für mich ist er das«, erwiderte Rudolf mit leiser Stimme. »Deshalb bin ich auch freiwillig zurückgetreten, als es darum ging, ob Alexander oder ich unseres Vaters Erbe antreten sollen. Ich weiß, dass ich niemals ein so guter Graf wie Alexander werden könnte, da ich das Ungleichgewicht meiner Natur nicht zu beherrschen vermag.«
»Für mich ist das kein Makel«, widersprach sie ihm entschieden, »sondern ein Zeichen der Stärke, weil du zu deiner Schwäche stehst.« Sie hielt einen Augenblick lang inne, ganz so, als überlege sie. »Ich würde dir gern mein Jawort geben«, sagte sie schließlich. »Aber ich möchte wissen, worauf ich mich einließe. Du sagst, du befürchtest, das Feuer werde bald ausbrechen?«
Rudolf nickte. Ihre Einschränkung raubte ihm den anfänglichen Mut. Was, wenn sein Verhalten sie abstieß? Andererseits – er war ihr eine Erklärung schuldig. Sie musste wissen, was sie erwartete.
»Es kann schon morgen geschehen, vielleicht aber auch erst in einigen Tagen«, erwiderte er. »Es gibt Vorboten.«
»Vorboten?«
»Ich schlafe wenig und verspüre dennoch keine Müdigkeit. Ich fühle mich voller Kraft und jeder Herausforderung gewachsen. Die Vorboten äußern sich meist in großer Tatkraft, während ich noch sehr wohl zu unterscheiden weiß, was angemessen ist und was nicht. Aber das ändert sich, je heftiger das Feuer brennt. Meine Gedanken werden sprunghaft. Wer mich nicht kennt, vermag ihnen dann nicht mehr zu folgen. Wenn das geschieht, brennt meine Seelenflamme lichterloh, wie meine Mutter zu sagen pflegt. So lange, bis sie ausgebrannt ist. Dann folgt meist wieder eine Zeit der Dunkelheit, bevor ich zu mir selbst zurückfinde.«
Sibylla ergriff Rudolfs Hände und drückte sie. »Du trägst ein schweres Los mit beneidenswerter Gelassenheit.«
Dann ließ sie ihn los und erhob sich. Er nahm es als Zeichen, dass er nun gehen solle, und stand gleichfalls auf. Doch Sibylla war schneller, legte ihm die Hände um den Nacken und zog ihn sanft an sich.
»Manchmal brennt auch in mir ein Feuer«, flüsterte sie. »Und das hast du von Anfang an geschürt. Seit dem Augenblick, als du an meinem Fenster aufgetaucht bist und mich mit deinem Witz für dich eingenommen hast. Ab dem Zeitpunkt war ich dir verfallen.«
Ihre Lippen boten sich ihm bereitwillig dar, er umfasste ihre Taille und presste sie an sich. Erst küsste er sie sanft und zärtlich, dann, als er merkte, wie begierig sie auf sein Spiel einging, voller Leidenschaft.
»Ich liebe dich, Sibylla«, hauchte er, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten.
»Ich weiß«, erwiderte sie mit keckem Augenaufschlag. »So wie ich dich. Und was immer ich hören oder sehen werde, ändert nichts daran. Ich weiß, dass du ein guter Mensch bist, der stets seinem Herzen folgt. In Trauer wie im Überschwang. Sonst hättest du dich nicht deiner kleinen Schwester zuliebe in diese Lage gebracht.«
»Dann heißt das im Grunde schon Ja?« Er zog sie erneut an sich.
Sie nickte. »Aber frag meinen Vater nicht zu früh. Auf keinen Fall, bevor die Fehde vorüber ist. Auch wenn das Feuer dich dazu treiben sollte. Ich fürchte, sein Jähzorn könnte ihn zu einer großen Dummheit verleiten. So wie an jenem Tag, als er Meret raubte.«
»Du meinst, er könnte mich tatsächlich im Burggraben ertränken?«
»Oder etwas noch Schlimmeres mit dir anstellen.«
»Keine Sorge, ich werde ihm keinen Grund geben.«
»Auch dann nicht, wenn das Feuer in dir brennt?«
»Auch dann nicht.« Er küsste sie zärtlich. »Ich möchte dich am liebsten gar nicht mehr loslassen, meine wundervolle Sibylla.«
»Dann bleib doch!«, flüsterte sie. »Ich habe keine Angst.«
»Nein, nicht so. Ich bringe dich nicht in Schwierigkeiten.«
»Dann geh jetzt, bevor ich dich in Schwierigkeiten bringe.« Sie küsste ihn und gab ihn frei.
Rudolfs
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