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Die Tochter der Tibeterin

Die Tochter der Tibeterin

Titel: Die Tochter der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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dankten Frau Perez, liefen die vier Stockwerke hinunter und traten in die Nacht hinaus, die nach Regen roch. Da ich eine Parklücke gefunden hatte, ließ ich den Wagen stehen, und wir gingen zu Fuß. Die Dunkelheit war voller konfuser Lichter. Autos fuhren langsam vorbei. Manchmal stand eine Frau am Straßenrand und hob die Hand. Dann hielt ein Auto, und die Frau stieg ein.
    Das »Omar« war ein türkisches Lokal. Türkische Musik, türkische Gerüche. Männer saßen vor ihren Gläsern und blickten auf den Fernseher, der in einer Ecke hoch oben an der Wand angebracht war. Auf dem Boden jede Menge Kippen. Jetzt wandten sich alle Augen uns zu. Neugierig, nicht aggressiv. Dass Tenzin ein Mönch war, sah man auf zwanzig Meter. Mönche behandelt man mit Respekt. Außerdem war er groß gewachsen und sah entschlossen aus. Das imponierte. Wir erkundigten uns. Die Männer antworteten gedämpft, zumeist einsilbig; nein, Jaime sei heute Abend nicht da 103
    gewesen. Kunsang? Die kleine Asiatin? Ach ja, vielleicht im
    »Phuket«? Sie ist doch Thailänderin, nicht wahr? Der Mann, der die Frage stellte, grinste vielsagend. Ich schüttelte den Kopf. Nein, sie ist keine Thailänderin.
    Ein Elefant aus blauem Neonlicht, ein paar fremdartige Schriftzeichen kündigten das »Phuket« an. Es war eine Diskothek, und im Vergleich dazu war es bei den Türken geradezu bieder. Die Wände waren schwarze Spiegel, in denen sich alles verdoppelte, die spektralweißen Spotlights, die Körper, die geschminkten Gesichter.
    Hier verkehrten Schweizer, auch solche, die nicht mehr jung waren.
    Die Luft roch süßlich. Der Lärmpegel war gewaltig, das ganze Lokal schien zu dröhnen. Die Mädchen waren so alt wie Kunsang oder älter und sahen nur jung aus; einige saßen auf den Knien der Männer. In der Mitte des Raumes tanzten Schatten, hektische Projektionen an der Oberfläche des Lichts. Auf einem großen Metalltisch, als Bar hergerichtet, gab ein blutjunges, nahezu splitternacktes Go-go-Girl den Rhythmus an. Wir bahnten uns einen Weg durch die zuckenden Leiber.
    Metallische Partikel schienen im Schein der Spotlichter aufzublitzen; ich hatte den Eindruck, dass sie sich in meinen Augen festsetzen. Kunsang? Hier? Ich blieb zurück, mir wurde schwindlig in dem flackernden Schwarz-Weiß dieser Welt. Inzwischen sprach Tenzin einige Leute an, entfernte sich weiter von mir, blieb schließlich bei einem Jungen stehen. Der erstarrte mitten im Schritt, drehte den Kopf und sah ihn überrascht an.
    »Was bist denn du? ‘n Franziskanermönch? Ach nee, der Dalai Lama!«
    Schallendes Gelächter. Tenzin verzog keine Miene, sprach ruhig auf ihn ein.
    Der Junge wies auf eine Art Nische im Hintergrund. Da saßen oder standen ein paar Gestalten. Einige Jungen hielten die Mädchen an sich gepresst, Bauch an Bauch. Beim Vorbeigehen erkannte ich, was sie taten, und das schien hier nichts Außergewöhnliches zu sein.
    Ein Junge saß auf einem Barhocker, ein Bein angezogen, und rauchte irgendwas. Tenzin ging auf ihn zu und redete. Der Junge sah ihn misstrauisch an. Sein schönes, schweißglänzendes Gesicht zeigte in zunehmendem Maße Verlegenheit, bevor er widerstrebend nickte.
    Tenzin gab mir ein Zeichen. Wir folgen Jaime durch eine Hintertür.
    Er hatte einen straffen, gut gebauten Körper, aber dunkle Augenränder wie die Mutter. Wir gingen durch einen schlecht 104
    beleuchteten Gang. Die Musik stampfte hinter den Wänden, ohrenbetäubend, Schatten schlichen sich in alle Winkel. Jaime ging voraus, drehte sich ab und zu nach uns um, wobei er versuchte, freundlich und gewinnend dreinzuschauen. Er gestikulierte und plapperte so laut es ging, damit wir verstehen konnten, was er sagte.
    »Muss schon sagen, es wird Zeit, dass sie nach Hause kommt.
    Die kann nicht mehr stehen. Hat den ganzen Abend Koks geschnupft. So ‘ne Menge von dem Zeug, das haut jeden um.
    Danach einige Wodka-Cola, ein paar Pillen dazu – und fertig. Ich habe ihr was geliehen für ihren Stoff, und jetzt schuldet sie mir Kies.«
    In meinem Kopf war eine große Verwirrung, ein Kreis, dessen Durchmesser immer kleiner wurde, mich allmählich erstickte. Aber meine Füße trugen mich weiter die Treppe hinauf, und ich hörte mich ruhig sagen:
    »Möchtest du, dass wir zur Polizei gehen?«
    Jaime zuckte zusammen.
    »Augenblick mal, das ist keine Erpressung. Ein Mädchen, das das macht, muss scharf darauf sein. Sonst hat es doch keinen Sinn, oder?«
    Auf seinem Gesicht glänzte der Schweiß. Er schniefte, warf

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