Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
wenn die Wahrheit schmerzlich oder quälend war, aber ausgesprochen werden musste. Lügen war etwas, was keiner von uns so recht gelernt hatte.
    »Du musst mir sagen, was du vorhast«, forderte ich. »Aber ich weiß ohnehin, was du denkst. Ich bin jetzt zwölfeinhalb, Finbar; ich bin alt genug, dass du mir vertrauen kannst.«
    »Ich vertraue dir, Sorcha, darum geht es nicht. Es ist nur, wenn du mir jetzt hilfst, wirst auch du in Gefahr sein, und außerdem …« Wieder wand er sich eine Haarsträhne um den Finger. Er sagte nichts mehr, aber ich war auf seine Gedanken eingestimmt, und einen Augenblick lang vergaß er, sie abzuschirmen. In der Dunkelheit des stillen Zimmers konnte ich einen erschreckenden Blick auf ein glühendes Kohlebecken und auf schreckliche Brandwunden werfen, und ich hörte einen Mann schreien. Zitternd riss ich mich los. Unsere Blicke begegneten sich im Entsetzen der geteilten Visionen.
    »Was für eine Art Schlafmittel?« fragte ich erschüttert und tastete nach Zunder, um eine Kerze anzuzünden.
    »Einen Trunk, der einen Mann bis zum Morgen schlafen lässt. Genug davon für vier, und es darf nicht bitter schmecken, so dass sie es in einem Krug Bier nicht bemerken. Und ich brauche es vor Sonnenaufgang, Sorcha. Sie werden früh frühstücken und die Wachen wechseln, bevor der Morgen weit fortgeschritten ist. Wir haben wenig Zeit. Weißt du, wie man einen solchen Trunk herstellt?«
    Im Dunkeln nickte ich zögernd. Wir brauchten einander nicht zu sehen, nur vor dem geistigen Auge, um zu einem Einverständnis zu kommen.
    »Aber du wirst mir sagen müssen«, meinte ich bedächtig, »wofür es gedacht ist.«
    Die Kerze flackerte, und ich schirmte sie mit der Hand ab. Es war jetzt sehr spät, gut nach Mitternacht, aber draußen hörte man gedämpfte Geräusche, Pferde, die bewegt wurden, Waffen wurden geschliffen, Vorräte geladen; sie bereiteten sich schon für den Abschied im Morgengrauen vor.
    »Du hast den Gefangenen gesehen«, sagte Finbar mit stillem Nachdruck, »er ist nur ein Junge.«
    »Er war älter als du.« Ich konnte nicht widerstehen, darauf hinzuweisen. »Mindestens sechzehn, nehme ich an.«
    »Alt genug, um für eine Sache zu sterben«, sagte mein Bruder. Ich konnte spüren, wie angespannt er war, wie sehr ihn seine Entschlossenheit, das Richtige zu tun, trieb. Wenn Finbar die Welt durch reine Willenskraft hätte ändern können, hätte er es getan.
    »Was soll ich tun? Diesen Briten in Schlaf versetzen?« Im trüben Kerzenlicht warf ich einen Blick auf meine Regale; das Päckchen, das ich brauchte, war gut versteckt.
    »Er hat geschwiegen. Und er wird weiter schweigen, wenn ich ihn richtig deute. Das wird ihn teuer zu stehen kommen. Brite oder nicht, er verdient eine Chance zur Freiheit«, erklärte Finbar nüchtern. »Dein Schlaftrunk kann ihm das erkaufen. Es gibt keine Möglichkeit, ihn vor dem Schmerz zu bewahren; dafür ist es schon zu spät.«
    »Welcher Schmerz?« Vielleicht kannte ich bereits die Antwort auf meine eigene Frage, aber mein Geist weigerte sich, die Hinweise zusammenzufügen, die ich erhalten hatte, weigerte sich, das Unakzeptable zu akzeptieren.
    »Der Schlaftrunk ist für die Wachen.« Finbar sprach nur widerstrebend. Es war klar, er wollte, dass ich so wenig wie möglich erfuhr. »Braue ihn einfach, ich kümmere mich um den Rest.«
    Meine Hände fanden das Päckchen beinahe automatisch: Nachtschatten, in geringem Maß und gemischt mit anderen Kräutern verwendet, würde die Männer tief schlafen lassen, mit wenigen schlechten Nebenwirkungen. Die Kunst bestand in der richtigen Dosierung; zu viel, und das Opfer würde nie wieder erwachen. Ich stand still, die getrockneten Beeren auf der Steinplatte vor mir.
    »Was ist?« fragte Finbar. »Worauf wartest du noch? Sorcha, ich muss wissen, ob du das tun wirst. Und ich muss gehen. Es gibt andere Dinge, um die ich mich kümmern muss.«
    Er war schon wieder auf den Beinen, begierig zu gehen, und malte sich bereits den nächsten Teil seiner Strategie aus.
    »Was werden sie ihm antun?« Doch sicherlich nicht, was ich in diesem Aufblitzen einer Vision gesehen hatte, die bewirkte, dass mir so übel wurde.
    »Du hast Vater gehört. Er sagte, lasst ihn leben. Überlasse es mir, mir darum Sorgen zu machen, Sorcha. Stelle einfach nur den Schlaftrunk her. Bitte.«
    »Aber wie kann Vater nur …«
    »Es wird mit der Zeit einfacher«, sagte Finbar. »Es gehört zur Ausbildung; die Fähigkeit, deinen Feind nicht mehr als

Weitere Kostenlose Bücher