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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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uns?«
    Ich wusste, dass ich meine Geschichte nicht erzählen durfte, nicht einmal meinen Brüdern. Also berührte ich meine Lippen mit dem Zeigefinger, dann legte ich die Hände zusammen und riss sie rasch wieder auseinander und schüttelte den Kopf. Ich darf nicht sprechen. Ich darf es euch nicht sagen. Ich hatte einen festen Schild um meine Gedanken gelegt, aber nicht mit Conors Feinfühligkeit gerechnet.
    »Sie hat einen Fluch auf dich gelegt«, sagte Conor. »Das ist klar. Mit welchem Ziel? Gibt es ein Ziel?«
    Ich schüttelte den Kopf und zeigte abermals mit dem Finger auf den Lippen, dass ich es ihm nicht sagen durfte.
    »Du darfst überhaupt nichts sagen?« fragte Diarmid enttäuscht. »Aber wie sollen wir wissen – wie sollen wir …«
    »Hast du keine Erinnerung an die Zeit?« fragte Conor ihn vorsichtig.
    »Erinnerung? Nicht genau. Es ist mehr …«
    »Es sind Gefühle, keine Gedanken«, warf Padraic ein, der von ihnen allen am ehesten der Alte zu sein schien, wenn auch stiller. »Hunger, Angst, Wärme, Kälte, Gefahr, Zuflucht. Das ist alles, was ein Schwan weiß. Es war – anders. Sehr anders.« Ich sah, dass er einen Augenblick seine Arme betrachtete, so als würde er sich immer noch wünschen, fliegen zu können.
    »Du musst verstehen, Sorcha«, erklärte Conor auf seine gemessene Art, »dass der Geist eines Tieres anders ist als der eines Mannes oder einer Frau. Ich glaube, nur sehr wenig kommt mit uns über die Grenze, wenn wir uns verändern. Als Schwäne können wir Dinge sehen, die Männern oder Frauen nicht auffallen, aber wir können sie nicht so begreifen wie du; und wenn wir erst wieder Menschengestalt haben, erinnern wir uns an das andere Leben nur trüb, wie durch einen Herbstnebel. Padraic hat es gut zusammengefasst. Ein wildes Tier kennt das Bedürfnis, sich zu verstecken, sich zu schützen, zu fliehen, Futter und Zuflucht zu suchen. Aber Bewusstsein, Gerechtigkeit, Vernunft – all das liegt außerhalb seines Geistes. Für Finbar ist diese Strafe besonders hart, da er diese Dinge über alles schätzt. Lady Oonagh hat den Fluch vielleicht besonders für ihn gewählt; aber für uns andere ist es ebenfalls schlimm genug.« Quer durch den Feuerkreis warf er Finbar einen Blick zu, der uns schweigend, das Gesicht im Schatten, beobachtete.
    »Sorchas Strafe ist schlimmer«, meinte Cormack nüchtern. »Allein im Wald zu sein, weit von allem, und nicht sprechen zu dürfen.« Er sah mich forschend an.
    »Zumindest sind wir jetzt zurückgekehrt und können alles in Ordnung bringen«, sagte Liam, streckte die langen Beine vorsichtig, als wollte er ausprobieren, ob sie immer noch funktionierten. »Oder ist dies nur eine Vision, die wieder verschwindet, bevor wir Zeit hatten, etwas zu tun? Wie lange haben wir unsere menschliche Gestalt?«
    Aber das durfte ich nicht sagen. Das hätte zu der Geschichte gehört, und das war verboten.
    »Ich fürchte, nicht lange, wenn ich nach Sorchas elendem Blick gehe«, meinte Diarmid verbittert.
    »Ich nehme an, nur diese eine Nacht«, sagte Conor. »In den alten Geschichten sind die Zeiten der Veränderung die Abend- und Morgendämmerung. Wir müssen auf das Schlimmste vorbereitet sein.«
    »Eine Nacht?« Diarmid war empört. »Was kann man in einer Nacht schon erreichen? Ich will Rache, ich will das Böse wieder gutmachen, zu dem ich beigetragen habe. Aber wir sind weit von zu Hause, zu weit, um zurückzukehren. Warum bist du hier, Sorcha – was ist mit Vater Brien, der dir helfen sollte?«
    Das war eine andere Geschichte, und die durfte erzählt werden. Ich ging zur Zeichensprache über. Ein christliches Kreuz; Münzen auf den Lidern. Aufflattern in den weiten Himmel und nach Westen. Sie verstanden mich sofort.
    »Also ist unser alter Freund tot«, sagte Liam.
    »Und ich gehe einmal davon aus, er ist keines natürlichen Todes gestorben«, fügte Cormack hinzu. »Dieser Mann war wie eine Eiche, so mager er war; er hatte Kraft in sich, wie sie vielen Kriegern fehlt.«
    »Lady Oonaghs Hand reicht weit«, sagte Diarmid.
    Conor warf ihm einen Blick zu. »Wir werden unsere Rache haben«, sagte er. »Vollständige, schreckliche Rache. Vater Briens Mörder werden in Stücke zerrissen und die Krähen werden an ihren weißen Knochen nagen.«
    Wir starrten ihn alle an. Er hatte nicht einmal die Stimme erhoben.
    »Wir glauben dir«, sagte Diarmid und zog die Brauen hoch.
    »Er war Christ«, wandte Padraic ein. »Vielleicht hätte er sich Verzeihung gewünscht und

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